Als hätt' der Himmel Die Erde still geküsst

Monika Marti, 28.06.2019

Monika Marti
Monika Marti

Verschwitzt liess ich mein Rad am Ufer des Genfersees ins Gras sinken. Die Veloferien gestalteten sich etwas kräftezehrender als angenommen: Muskelkater im Beinbereich und stechenden Schmerz im Po. Nachdem mein Drahtesel sanft im kurzgeschnittenen Rasen des Campingareals gelandet war, liess auch ich mich auf der Wiese nieder. Trotz – oder gerade der geleisteten Anstrengung wegen - durchströmte mich ein Glücksgefühl: Eine weitere Etappe war geschafft! Ich steckte meine Ohrstöpsel ein, machte die Augen zu und legte mich rücklings ins Gras. Die Arme seitwärts ausgebreitet. Ich vernahm Musik und hörte mich dazu summen. Mein Körper entspannte sich und ich döste gedankenverloren vor mich hin.

Wenig später öffnete ich meine Augen und blickte in eine blaue Unendlichkeit. Das Himmelsgewölbe schien luftig und leicht. Kleine Wolken zogen an mir vorüber – dem Spiel der Verwandlung unterlegen. Ein Gefühl von Freiheit durchflutete mich. Ich beobachtete ein Flugzeug, das Menschen ans Ziel ihrer Träume beförderte. Es hinterliess eine Kerosinspur am Firmament. Mir fiel die grenzenlose Weite auf. In der Ferne schien sich Wasser und Himmel zu berühren. Möwen kreisten über dem See und liessen sich vom Wind tragen.

Ich setzte mich auf und beobachtete das emsige Treiben auf dem Campingplatz. Kinder, die Fussball spielten, Erwachsene, die versuchten Grillbriketts zum Glühen zu bringen. Jeder Stellplatz war mit einer Nummer versehen. Das Wohngebiet klar abgesteckt. Ich liess meinen Gedanken freien Lauf. Bestand nicht die ganze Erdoberfläche aus Zäunen und Abgrenzungen? Überall wurden Häuser erstellt und Felder bebaut. Leistung und Kontrolle gehörten ebenso zum Leben auf Erden wie Anstand und Ordnung. Plötzlich tat sich mein Werdegang vor mir auf wie ein Ackerfeld. Es schien mir fruchtbar zu sein – und trotzdem eng und schwer – weit weg vom Glück der Leichtigkeit. Ich sah mich Verpflichtungen erfüllen und Erwartungen genügen. Fleissig wie eine Biene Nektar nach Hause tragen. Um ein Lebensniveau zu erreichen, das Milch und Honig fliessen lässt.

Ich drehte mich zur Seite und sah dem sich in den Wellen spiegelnden Sonnenlicht zu. Und plötzlich durchzuckte mich die Gewissheit: Es war Zeit, die Grenzlinie zwischen Erde und Himmel zu überschreiten. Ich stand auf, packte meine Sachen und siedelte kurze Zeit später um an den Bodensee.

In idyllischer Umgebung übe ich seither, Spreu vom Weizen zu trennen. Ich durchbreche die Alltagsroutine und hinterfrage mein Tun nach «sollen und wollen». Ich bringe den Mut auf, in ein Meer von faszinierenden Möglichkeiten einzutauchen und mich nicht immer – aber immer öfter – vom Wind des Lebens tragen zu lassen. Wünsche und Träume gesellen sich zu Arbeit und Pflicht.

Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküsst
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst

Die Luft ging durch die Felder
Die Ähren wogten sacht
Es rauschten leis die Wälder
So sternklar war die Nacht

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus
Flog durch die stillen Lande
Als flöge sie nach Haus.  (Joseph von Eichendorff)


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