Angst vor dem Winter

Zora Debrunner, 04.09.2020

Zora Debrunner
Zora Debrunner

Noch vor einigen Wochen war alles anders. Wir bewegten uns unbekümmert in der Weltgeschichte, litten an unseren kleinen und grossen Sorgen. Seit Corona hat sich alles verändert.

Für mich als in Pflege/Betreuung Tätige hat sich auch alles verändert. Die Maske ist meine ständige Begleitung, wenn ich im Kontakt mit den betreuten Menschen bin. Ich gebe es zu, ich trage die Maske nicht gern. Aber ich tue es im Beruf, weil ich meine Mitmenschen schützen will und muss.

In den letzten Wochen, wo es so heiss war, war die Maske eine Belastung bei schwerer körperlicher Arbeit. Man verliert seine Mimik und die Stimme wirkt gedämpft. Abends bin ich oft heiser.

Um das Risiko zu minimieren, angesteckt zu werden, hat sich auch mein Bewegungsradius verändert: Ich gehe arbeiten, meide den ÖV, gehe praktisch nicht mehr in Restaurants, ausser ich kann draussen sitzen. Ich treffe nur noch Freunde und Bekannte, von denen ich weiss, dass sie Covid 19 ernstnehmen. Andere Menschen meide ich. Ich mag mir das Gerede und die Verschwörungstheorien nicht antun. Ich leide unter dem mehr oder weniger stark ausgedrückten Hass gegen Fremde, gegen Medienschaffende, Ärzte oder Politiker. Das Gehabe tut mir nicht gut.

Mir fehlt der Körperkontakt unter FreundInnen. Als mich am Samstag ein alter Freund umarmt hat, habe ich fast geweint. Ich war es einfach nicht mehr gewohnt, berührt zu werden. Befreiend finde ich, nicht mehr jeden die Hand zu geben. Keine Höflichkeitsküsschen. Nur noch Winken aus der Ferne. Das kommt mir sehr gelegen, und vielen meiner Freundinnen geht es ähnlich.

Ich habe ein wenig Angst vor dem Winter. Davor, dass viele krank werden, dass ich krank werde oder jemand in meiner Familie. Noch mehr fürchte ich mich vor dem Hass unter den Menschen, vor der Verbohrtheit, dem Gefühl gewisser Menschen als einzige Recht zu haben und allen anderen den Mund verbieten zu müssen.

An Tagen, wo ich an meinen Mitmenschen (ver-)zweifle, gehe ich in den Wald. Dann sehe ich zu den Bäumen hoch, entdecke schöne Steine auf dem Weg, beobachte Tiere und geniesse die Waldluft. Nach einer oder zwei Stunden verlasse ich den Wald wieder, die trüben Gedanken, die Sorgen, die Ängste scheinen dann vergraben unter Laubhaufen und Ästen. Carpe diem.

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