Auszug aus dem Buch "Frauen lassen Frauen nicht im Regen stehen" | 4. Teil: Der Sprung ins Wasser – Leben mit dem Manuskript

Julia Onken, 28.02.2020

Julia und Maya Onken
Julia und Maya Onken

Der Sprung ins Wasser

Da war ich also. Alleinerziehend. Geschieden. Beruflich im Aufbau. In Liebesdingen auf der Achterbahn. Finanziell ohne Netz und doppeltem Boden. Aber irgendwie verdammt gut drauf. Der Neubeginn beflügelte mich, die Last ehelicher Unbill war mit einem Schlag weg, und Freundinnen linderten in stundenlangen Gesprächen die gelegentlichen Trauerattacken. Auch in dieser Zeit lernte ich, welche grosse Bedeutung Frauen-Freundschaften haben und welche Kraft durch unerschütterlichen Beistand entstehen kann. Ich war umgeben von Frauen, die mir wohlgesonnen waren, die mir emotional Schutz gaben. Mit der Zeit wuchs in mir eine beinahe ungestüme Freude, endlich mein Leben selbst in die Hand zu nehmen und es nach meinen Vorstellungen zu gestalten. Die Lebensfreude war um einiges grösser als der melancholische Blick zurück. 

Bevor ich jedoch richtig durchstarten konnte, landete ich in den Wechseljahren. Klar, mit 42 Jahren war ich zu jung dafür, das zumindest meinte meine Ärztin, aber der Hormonspiegel sagte etwas anderes. Ausgerechnet jetzt! Auf der Schwelle zu einem erfüllten Leben, endlich erwachsen werden, heiter und frohen Mutes 

selbstbestimmend mit tausend Projekten im Kopf, wurde ich mitten im Flug abgeschossen, zur Bauchlandung gezwungen. Wechseljahre! Alles, was ich darüber wusste war: Schluss mit Frausein! Aufs Abstellgleis verfrachtet! Zur unattraktiven alten Schachtel verurteilt! Ich wollte genau wissen, welche körperliche Tragödie da auf mich zukommt und suchte nach Literatur. Was die Sache noch schlimmer machte, denn das, was ich darüber lesen konnte, war schrecklich. 

Hier ein paar Müsterchen: Der amerikanische Sex-Spezialist David Ruben, Autor des Buches «Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber nicht wagten zu fragen», kommentiert die Situation der Frau in den Wechseljahren wie folgt: «Östrogen wird nicht mehr gebildet. Die Frau gleicht sich immer mehr dem Mann an. Der Haarwuchs im Gesicht nimmt zu. Die Stimme wird tiefer. Sie wird dicker, ihre Brüste schrumpfen und auch die weiblichen Genitalien vermännlichen sich. Vergröberte Gesichtszüge, allmählicher Haarausfall vervollständigen das Bild. Sie ist zwar noch kein Mann, aber auch keine Frau mehr; deshalb leben diese Zwitter in einer Zwischenwelt. Ihre Eierstöcke überlebt zu haben, bedeutet vielleicht wirklich, dass sie ihre Nützlichkeit als menschliches Wesen überlebt haben. Die restlichen Jahre sind für sie vielleicht nur ein Auf-der-Stelle-Treten, bis sie ihren Drüsen in die Vergangenheit nachfolgt.» 

Auch der Pionier der Hormonersatztherapie, Robert Wilson, zeichnet diesen Lebensabschnitt in düsteren Farben: «Die Umwandlung einer tüchtigen, sympathischen Frau in wenigen Jahren in eine dümmliche, aber scharfzüngige Karikatur ihrer selbst ist eines der traurigsten, menschlichen Schauspiele. In einem Irrgarten von Sehnsüchten und Einbildungen verlieren sie Kontakt mit der Wirklichkeit, daraus besteht die Wechseljahrneurose.» Um die Zivilisation vor diesen weiblichen Zombies zu schützen, bot Robert Wilson das Hormonpräparat «Presomen» an, das in kürzester Zeit zum meistverkauften Medikament der damaligen Zeit wurde. 

Der Münchner Frauenarzt Dr. Lauritzen setzte noch eines drauf: «Östrogene sind für alles verantwortlich, was wir Männer an Frauen so lieben.» Nur Felix, meine neue Liebe, machte gute Mine zum trüben Spiel. Er, elf Jahre jünger als ich, fand es ziemlich aufregend, endlich mit einer reifen Frau liiert zu sein. Das tröstete zwar etwas, vermochte aber meine Empörung nicht zu lindern. 

Ich kam mir vor wie ein Pferd, das sich wiehernd vor einem Hindernis aufbäumt, sich aber mit aller Vehemenz weigert, darüber zu springen: wissend, dass hinter der Barrikade der Abgrund lauert. Als sich meine aufschäumende Wut allmählich etwas legte, begann ich, über die Wechseljahre genauer nachzudenken, ja, eigentlich Tag und Nacht, denn es gab nichts anderes, was mich mehr interessierte. Dabei tauchten Fragen nach dem Sinn des Lebens auf, vor allem, ob es möglich ist, dass der Schöpfung in der Konstruktion der Frau ein schwerwiegender Fehler unterlaufen sein könnte. 

Natürlich hätten mich diese Überlegungen zu meinen katholischen Wurzeln zurückführen können, als junger Mensch hatte ich mich aber von der Religion verabschiedet und wollte nichts mehr davon wissen. Danach trieb ich wie ein Schiff ohne Steuer herum. Orientierungslos. Als ich meinen Schwiegervater kennen lernte, änderte sich das. Er war seit seiner Kindheit Buddhist, also überzeugt durch und durch, was seiner Ehe mit einer Katholikin trotzdem nicht im Wege stand. Gegenseitiger Respekt war ihr Markenzeichen. Ich sog seine Philosophie auf wie ein trockener Schwamm, erhielt Zugang zu den Schriften, las Bücher, besuchte mit ihm einen philosophischen Gesprächskreis. Mir machte vor allem der Aspekt der Selbstverantwortung Eindruck, hier wurde benannt, was ich dachte, wofür mir aber die passenden Worte fehlten. Schliesslich war es genau diese Doktrin, die mich dazu veranlasste, der katholischen Kirche den Rücken zuzudrehen, denn ich empfand mich nie als Bittende, die von einer höheren Gnade erhört werden muss, sondern stets als selbst verantwortlicher Mensch. 

Durch meinen Schwiegervater entdeckte ich einen Satz, der bei mir wie eine Bombe einschlug: «Vom Denken gehen die Dinge aus, alles ist denkgeboren, denkgefügt.» Darüber musste ich nicht lange nachdenken, er fügte sich nahtlos in meine Erlebniswelt ein. Schliesslich hatte ich meine ganze Kindheit in Denkwelten verbracht, mich davon faszinieren und begeistern lassen. 

Es wäre vermessen, zu behaupten, dass die katholische Zeit in mir keine Spuren hinterlassen hat. Auf meiner Sinnsuche machten sich immer stärker einzelne Restfetzen bemerkbar, und ich musste zwei Konzepte, die diametral entgegengesetzt zu sein schienen, in einen Zusammenhang bringen. Auf der einen Seite also der armselige und sündige Mensch, der nur durch die Gnade Gottes erlöst werden kann, auf der anderen Seite die buddhistische Sichtweise, sich selbst für sein Leben verantwortlich zu fühlen. Dies führte dazu, dass ich mich auch mit christlichen Texten befasste und oft staunte, wie weit weg sich viele Aussagen von der dogmatischen Kirchenlehre bewegten. Ich bewegte mich also in einem aufregenden Balanceakt zwischen den Lehren Buddhas und dem Christentum. Die Wechseljahre führten mich auf direktem Weg in eine intensive Auseinandersetzung mit meinem Welt- und Menschenbild, und irgendwann war ich fest davon überzeugt: Die Schöpfungsintelligenz muss nicht korrigiert werden! Ein Text von Hermann Hesse führte mich auf die richtige Spur:

«Jede Erscheinung auf Erden ist nur ein Gleichnis,
und jedes Gleichnis ist ein offenes Tor, durch welches die Seele,
wenn sie bereit ist, in das Innere der Welt zu gehen vermag,
wo du und ich und Tag und Nacht alles eins sind. 
Jeden fliegt irgendeinmal der Gedanke an, 
dass alles Sichtbare nur ein Gleichnis sei,
dass hinter dem Gleichnis der Geist und das ewige Leben wohne.
Wenige freilich gehen durch das Tor 
und heben den schönen Schein dahin 
für eine geahnte Welt der Wirklichkeit»

Nun war der Groschen endgültig gefallen, diese Wirklichkeit wollte ich entdecken, und ich war nicht länger bereit, den Unsinn hinzunehmen, den vor allem Männer über die Wechseljahre verbreiteten. Ich war zutiefst davon überzeugt, wenn es die Wechseljahre gibt, dann müssen sie einen Sinn haben. Ich begann alle körperlichen und psychischen Zeichen, die als typische Wechseljahrbeschwerden bezeichnet wurden, zu untersuchen und diese auf den dahinterliegenden Sinn zu prüfen, daraus Entwicklungsmöglichkeiten abzuleiten. Und ich kam aus dem Staunen nicht heraus! Plötzlich waren die Wechsel- keine Abschiedsjahre mehr, sondern ein Auftakt in eine neue Lebensphase mit neuen Aufgaben, die uns reicher und erfüllter machen. Und wie ich es durch meine Mutter gelernt hatte, dass das, was ich zu erzählen habe, interessant ist, erzählte ich meine Überlegungen anderen. Zunächst waren es nur wenige Frauen, die mir zuhörten, die aber erzählten ihren Freundinnen und Bekannten von meinen Ideen. Es wurden immer mehr, und so entstanden regelmässig stattfindende Diskussionsabende. Bald wurde ich zu Vorträgen eingeladen, gleichzeitig begann ich, alles aufzuschreiben. Da ich morgens um 9 Uhr in meiner psychotherapeutischen Praxis mit der Arbeit begann, blieb dafür nur zwischen 6 Uhr früh und 8.30 Uhr Zeit. Ich habe das nie als besonderes Opfer empfunden, im Gegenteil, ich schlief ja bereit mit meinen Themen ein, erwachte mit ihnen und konnte kaum warten, mich an meinen Schreibtisch zu setzen, um alles aufzuschreiben.

Ich schrieb also jeden Tag in den frühen Morgenstunden und hielt Vorträge über ein Thema, das mir unter den Nägeln brannte. Das Manuskript besprach ich regelmässig mit meiner Tochter Maya, und da die Freundschaft mit Lara wieder ungehindert weiterging – sie hatte sich mit meiner Scheidung von ihrer Rolle als Geliebte verabschiedet – las ich ihr meine Texte jeweils vor. Eines Tages meinte sie, falls ich einen Verlag für ein Buch benötige, könne sie mir weiterhelfen. Ich war etwas überrascht, denn daran hatte ich noch nie gedacht. Mir war das Thema, das ich bearbeitete, viel wichtiger, und da ich bereits öffentlich darüber sprechen durfte, war eine Publikation Nebensache. 

Eines Tages – es war wohl ein halbes Jahr nach meiner Denkumkehr – hatte ich all meine Gedanken aufgeschrieben und damit meine Arbeit zu Ende gebracht. An diesem Punkt erinnerte ich mich daran, was mir Lara angeboten hatte und kontaktierte sie. Sie gab mir die Adresse von Hector, einer ihrer Bekannten, er war in einem Verlag tätig, also schickte ich ihm das Manuskript. Nach einigen Wochen bekam ich von ihm einen langen Brief, darin lobende Worte für meine Ausführungen, aber ebenso ein Hinweis, der mich ziemlich aus der Fassung brachte, er lautete: «Das Manuskript enthält vor allem eigenes Erleben, es sollte noch einen übergeordneten, theoretischen Aspekt beinhalten.» Es sei, so hiess es weiter, quasi nur die Hälfte, und Hector empfahl mir, die fehlende Hälfte zuzufügen. Ich war verunsichert und genervt, so hatte ich mir die Reaktion nicht vorgestellt, zudem wusste ich überhaupt nicht, was der Mann meinte. Schliesslich hatte ich alles gesagt, was es zu sagen gibt. 

Nun kenne ich mich gut genug und wusste: Wenn mich etwas besonders ärgert, muss an der Kritik etwas dran sein, und kam letztendlich zum Schluss: Er hat recht. Wie aber noch eine Theorie aus dem Hut zaubern? Ich verbrachte viele schlaflose Nächte mit dieser Frage. Irgendwann wusste ich es, und es war überhaupt nicht schwer, ich hatte ja bereits ein theoretisches Konzept ausgearbeitet, das ich in Kursen und Tagungen anwandte. So entstand meine «Feuerzeichenfrau» in zwei Teilen: einem Erlebnisbericht und einem Tagungsbericht. Als ich Hector den zweiten Teil sandte, kam postwendend die Antwort: Druckreif. Was heisst das nun? In ausführlichen Gesprächen schlug er mir zwei unterschiedliche Möglichkeiten vor. Die eine war, das Manuskript dem Verlag anzubieten, in dem er arbeitete, die andere bestand darin, «lernen, mit dem Manuskript zu leben». 


Manuskripte
Manuskripte

Leben mit dem Manuskript

Die Empfehlung von Hector stellte mich vor eine neue Herausforderung: Das Manuskript einem Verlag anbieten oder mit ihm leben? Und was bedeutete das, zu lernen, mit einem Manuskript zu leben? Da kam mir ein Traum zu Hilfe: Ich träumte, dass ich mit Hector auf einer unwegsamen, holprigen und steilen Strasse stand und sie heruntersausen wollte. Dafür standen uns ein grandios poliertes Auto und ein klappriges Fahrrad zur Verfügung. Es war sofort klar, dass für unseren Plan nur das Zweirad in Frage kam, damit fuhren wir schwungvoll und geschickt den Hang hinunter. Mehr noch, der Wind wehte uns in den Haaren, und wir hatten grossen Spass daran. Als ich aufwachte, musste ich nicht lange nachdenken. Der Traum hatte mich zu den wunderbaren Emotionen geführt, sich im Freien natürlichen Kräften hinzugeben. Ich entschied mich, wie im Traum, für die handgestrickte Variante und liess die Hochglanzvariante sein, das hiess also, mit dem Manuskript zu leben: Es selbst als Offsetdruck herauszugeben. 

Die Empfehlung von Hector stellte mich vor eine neue Herausforderung: Das Manuskript einem Verlag anbieten oder mit ihm leben? Und was bedeutete das, zu lernen, mit einem Manuskript zu leben? Da kam mir ein Traum zu Hilfe: Ich träumte, dass ich mit Hector auf einer unwegsamen, holprigen und steilen Strasse stand und sie heruntersausen wollte. Dafür standen uns ein grandios poliertes Auto und ein klappriges Fahrrad zur Verfügung. Es war sofort klar, dass für unseren Plan nur das Zweirad in Frage kam, damit fuhren wir schwungvoll und geschickt den Hang hinunter. Mehr noch, der Wind wehte uns in den Haaren, und wir hatten grossen Spass daran. Als ich aufwachte, musste ich nicht lange nachdenken. Der Traum hatte mich zu den wunderbaren Emotionen geführt, sich im Freien natürlichen Kräften hinzugeben. Ich entschied mich, wie im Traum, für die handgestrickte Variante und liess die Hochglanzvariante sein, das hiess also, mit dem Manuskript zu leben: Es selbst als Offsetdruck herauszugeben. 

Im Nachhinein sagt sich das sehr leicht, die Probleme aber, die der Entscheid bewirkte, waren gross. Es war 1986, zu dieser Zeit gab es noch keine Computer, man schrieb alles mit der 

Schreibmaschine, erst wenige Jahre später kamen die ersten Modelle mit Disketten für Abspeicherungen auf den Markt. Ich hatte das Manuskript in zwei Teilen geschrieben und dafür zwei Schreibmaschinen mit unterschiedlichen Typologien benutzt. Die Schriften waren derart verschieden, dass man sie gut unterscheiden konnte, das stellte mich vor das erste grosse Problem, da in diesem Druckverfahren die Originalseiten kopiert werden. 

Ich habe es vergessen, aber es hat einige Wochenende gedauert, die Schreibmaschinenseiten für den Druck vorzubereiten. Wir überklebten sämtliche Korrekturen, wechselten einzelne Worte oder ganze Sätze aus, das alles war mit grösseren, umständlichen Klebeaktionen verbunden. Für die Korrekturen mussten wir die unterschiedlichen Typografien beachten, und weil eine der eingesetzten Schreibmaschinen längst in einer weit entfernten Stadt stand, konnte es sein, dass sich Felix am Sonntag 40 Minuten ins Auto setzen musste, um in der Ferne das winzige Wörtchen «ist» zu tippen, nur, damit wir dieses später ins Manuskript kleben konnten. 

Ich wollte meinem Manuskript ein würdiges Zuhause bieten, das heisst in einem Selbstverlag unterbringen, der einen Namen trägt, der symbolisch für Frauenschicksale steht. Die Recherchen führten Felix und mich zu «Alkestis». Die Geschichte von Alkestis, die mit Admetos, König von Pherai verheiratet ist, findet sich in der griechischen Mythologie, sie erzählt von grenzenloser, aufopfernder Gattenliebe. Thematisch passte das gut, denn viele Frauen sind selbst in der Moderne dazu bereit, die eigenen Wünsche zugunsten anderer zu opfern und ihre eigenen Ansprüche und Bedürfnisse mehr und mehr zu vergessen. Im Mythos findet sich ein Hinweis, wie damit umzugehen ist. Da Admetos seine Pflicht vernachlässigt, den Göttern regelmässig Tieropfer zu bringen, fordern diese zur Strafe seinen Tod. Alkestis, in aufopfernder Liebe zum Gemahl, will die Strafe übernehmen und für ihn das Versäumnis auslöffeln. Kommt uns irgendwie bekannt vor! Sie ging also in den Tod, wurde aber zurückgeschickt. Ihr Opfer war völlig umsonst. Auch das ist vielen Frauen bekannt. 

In der nahegelegenen Grenzstadt fanden wir eine Druckerei, die unsere Pläne auf Papier brachte. Die Mitarbeiter offerierten gar, den Entwurf des Umschlags zu übernehmen, und wir liessen ihnen dafür freie Hand. Und dann war es soweit. Wir wollten mutig sein und 50 Exemplare drucken. Felix brachte das Manuskript in die Druckerei, ich landete jäh mit hohem Fieber im Bett. In meinen Fieberträumen bestürmten mich die Textseiten, die eingeklebten Korrekturen hatten sich gelöst, verschoben, sie waren woanders hingerutscht und brachten andere Textstellen durcheinander. Auch der geklebte Titel «Feuerzeichenfrau» hatte sich verschoben und irgendein Kobold hatte darin einfach die beiden Buchstaben «fr» herauslöst und mit einem «s» ersetzt, und ich war im Fieberwahn davon überzeugt, dass nun auf dem Umschlag «Feuerzeichensau» steht. Ich musste meine ganze Kraft aufwenden, Felix nochmals in die Druckerei zu zwingen, damit er nachschaute, ob alles in Ordnung ist – murrend setzte er sich ins Auto, zwei Mal (!) alleine für mich. 

Manuskripte
Manuskripte

Kaum hatte ich mich vom Fieberschub erholt, waren die Bücher fertig, nun lagen sie vor mir auf dem Tisch. 50 Exemplare, in feuerrotem Umschlag. Ich schrieb zwanzig Briefe (von Hand!) und verschickte sie an Frauen, die mir ihr Interesse daran im Rahmen meiner Vorträge, Diskussionen und Tagungen zu den Wechseljahren kund getan hatten. Was dann geschah, versuche ich im Zeitraffer wiederzugeben, weil es sämtliche Vorstellungen über die Veröffentlichung eines Buches – und dann noch im Selbstverlag – sprengt. Kaum hatte ich die Briefe verschickt, waren die 50 Exemplare verkauft. Wir druckten nach. Diesmal etwas mutiger, 100 Exemplare. Die Buschtrommel unter den Leserinnen funktionierte, weitere Bestellungen kamen, ohne dass ich Werbung machen musste. Felix schleppte jeden Tag Buchpakete zur Post, und brachte gleich neue Bestellungen aus dem Postfach mit. Auch die 100 Exemplare reichten nicht, zudem rückten uns nun auch Buchhändler mit ihren Anliegen auf den Leib – manche wollten von uns 10 Exemplare, weshalb ich selber in eine Buchhandlung ging, um die Verantwortlichen davon abzubringen. Ich erklärte ihnen, dass das Buch bloss ein Offsetdruck sei, die Seiten bei mehrmaligem Blättern auseinanderfallen und herumflatterten. Um das zu beweisen, zerfledderte ich vor ihren Augen das mitgebrachte Vorzeigeexemplar – aber es nützte nichts, sie hielten an ihrem Kauf fest.

Die ersten Buchbesprechungen irritierten mich nicht minder. Ich rief immer wieder Hector an, meist mitten in der Nacht, weil ich nicht schlafen konnte, um mich von ihm beraten zu lassen, der aber meinte ziemlich trocken: «Ich habe dir ja gesagt, lerne mit dem Manuskript zu leben.» Und als mir jemand gar erzählte, das Buch stehe auf der Bestsellerliste auf Platz Eins, war ich schockiert – zumal ich nicht einmal wusste, wo diese Listen abgedruckt waren und was sie zu bedeuten hatten. Das waren aufregende Zeiten! Parallel dazu ging ich noch immer gewissenhaft meiner Teilzeitanstellung als Psychotherapeutin in einer Institution und der Arbeit in meiner Praxis nach, zudem hatte ich noch einen Lehrauftrag in einer Berufsschule erhalten, der mir viel Arbeit abverlangte. Ich hatte also jede Menge zu tun. 

Der (Alb)Traum ging weiter. Weitere Bestellungen, im Zweimonatetakt erreichten wir die 2000er-, 3000er- dann die 5000er-Marke. Durch den Erfolg erhöhten sich die Einnahmen, im Gegenzug sank der Herstellungspreis pro Buch drastisch. Letztendlich lag er gerade noch bei zwei Deutschen Mark. Das stellte Felix und mich vor ein neues Problem. Uns beschlich das höchst ungute Gefühl, uns unrechtmässig zu bereichern. Felix schlug vor, den Bestellungen zwar eine Rechnung mitzuliefern, ohne darauf zu bestehen, dass sie auch bezahlt werden und es dadurch zu einem organischen Ausgleich käme. 

Der Erfolg bescherte mir eine Flut von Leserinnen-Briefe. Ich las und beantwortete sie vor allem abends – alles per Hand mit einem wunderschönen Füllfederhalter «Meisterstück von Mont Blanc» mit BBB-Federspitze – das sind die besonders breiten und weichen. Viele begannen mit den Worten: «Ich habe noch nie einer Autorin geschrieben, aber Ihnen muss ich einfach schreiben.» Auch das irritierte mich. Warum verspüren die Frauen diesen Drang, mir zu schreiben? Vera F. Birkenbihl, die grossartige, in der Zwischenzeit leider verstorbene Hirn- und Lernspezialistin, nannte mir in einem nächtlichen Telefongespräch den wichtigsten Grund: «Du schreibst eben in Bildern», sagte sie in ihrer typischen, beinahe atemlosen Sprechweise und fuhr fort: «Das aktiviert die rechte Hirnhälfte, dadurch entstehen in anderen Köpfen ureigene Bilder, das Episodengedächtnis wird belebt, und es ist doch klar: Die Menschen wollen anderen von ihren Bildern erzählen.» Das also war der Schlüssel. Inzwischen habe ich mehrere Bücher geschrieben und achte noch immer darauf, auch theoretische Überlegungen möglichst in bildhafter Sprache darzustellen. Das lässt sich auch in Seminaren praktizieren, komplizierte Konzepte werden bildhaft dargestellt besser fassbar. 

Alle die Lebensgeschichten der Frauen zu lesen war für mich eine grosse Bereicherung. Sie alle wiesen eine Gemeinsamkeit auf: die Suche nach dem Lebenssinn, die Suche nach einer erfüllenden, beruflichen Tätigkeit und letztlich die Suche nach sich selbst. Durch die vielen Alltagsverpflichtungen, die in der Familie und/oder in der zusätzlichen beruflichen Herausforderung anfallen, rücken diese wichtigsten Fragen in den Hintergrund, bis sie sich wieder ins Bewusstsein drängen, erst leise, dann immer dringlicher. Sie münden in der Sehnsucht, wieder zu sich selbst zurückzufinden, zum Lebenssinn, und sie waren in sämtlichen Schilderungen zu finden. Mehr noch: Aus den Briefen sprach auch das grosse Bedürfnis nach Wissen, nach Schulung und Ausbildung der eigenen Fähigkeiten und Anlagen. Ich begriff zusehends, wie sehr der sogenannte Begabungsstau den Frauen zusetzte, ihnen die Luft abschnürte, gerade weil es ihnen nicht möglich war, ihre Ausbildungsvorhaben umzusetzen, wegen der Kinder, weil sie mitverdienen oder als Alleinerziehende die gesamte Verantwortung alleine tragen mussten – all das war mir aus meiner eigenen Biografie bestens bekannt. Beim Lesen der Briefe empfand ich ein tiefes, schwesterliches Gefühl für andere Frauen, damals wurde es mir gewiss, ich wollte mich künftig für Frauen einsetzen. 

In welcher Form war mir damals noch unklar, ich wollte einfach einen Beitrag leisten, damit es Frauen gelingt, all das, was in ihnen schlummert, aufzuwecken, zu entwickeln und zur Blüte zu bringen. Dabei tauchte zum ersten Mal die Idee auf, spezielle Seminare für Frauen zu entwickeln.

Als mich völlig unerwartet der renommierte C.H. Beck Verlag anfragte, ob er mein Buch verlegen dürfe – Hector hatte der Lektorin Christine Zeile ein selbst gestricktes Exemplar weitergereicht – dachte ich zunächst, dass sich damit alles etwas beruhigt. Das Gegenteil war der Fall. Nun ging es erst richtig los. 

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