Kein Liebhaber in Sicht

Béatrice Stössel, 26.06.2020

Béatrice Stössel
Béatrice Stössel

Wie ich Grammatik hasse! Einen Satz in seine Einzelteile zu zerlegen grenzt in meinen Augen an literarischen Kannibalismus. Ist Sprache nicht Gefühlssache? Die saugt man mit der Muttermilch ein. Wozu habe ich Ohren? Um zu hören und dem Klang der Worte zu lauschen, die Melodie darin zu erkennen.

Nehmen wir als Beispiel die drei schönsten Worte der Welt - Ich liebe Dich – die sollten nicht den Zeitformen zum Opfer fallen. Schlimm genug, wenn man sich eines Tages eingestehen muss: - Ich hatte geliebt - weil der Herzensbrecher mich verliess, noch dazu wegen einer anderen. Und dieser todtraurige Umstand soll analysiert und grammatikalisch ausgeschlachtet werden?

Ich habe geliebt – Punkt. Das reicht vollauf. So sagt sich das in unserem Dialekt und jede Frau weiss, wie traurig es sich anfühlt. Männer sicher auch, ich will mal nicht so sein. Nur kommt der männliche Liebeskranke meistens und sehr schnell in den Genuss hochtourig rotierender  Beschützerinstinkte der Neuen, was unsereins versagt bleibt.

Doch die Grammatik schreit nach Differenzierung der Zeitformen:

Ich liebte
Ich habe geliebt
Ich hatte geliebt 

- Das ist übrigens Plusquamperfekt
Allein schon dieses Wort: Plus-quam-per-fekt !

Da rutscht meine Füllfeder vor Schreck auf dem Papier aus, bevor das Wort zu Ende geschrieben ist.

Wenn es aus ist mit der Liebe, dann ist das schon Tragödie genug, ohne spitzfindig germanistische Verrenkung. Es werden Tränen vergossen oder Verwünschungen ausgesprochen. Man badet in Selbstmitleid.

Haben Sie sich schon überlegt, welche grammatikalischen Bocksprünge die magischen drei Worte: Ich liebe dich – in der Zukunftsform machen? Nein? Ich erkläre es ihnen:

Ich werde lieben - Wie hoffnungsvoll das klingt, insbesondere wenn man gerade an gebrochenem Herzen leidet, tröstet die Ahnung, dass die Liebe wiederkehren wird, sobald der grösste Schmerz überwunden ist und die Verlassenheitsgefühle von einem abfallen wie Blätter im Herbstwind.

Doch in meinen Augen ist der Gipfel in Sachen Grammatik: 

Die vollendete Zukunft – auch Futurum II genannt:

Ich werde geliebt haben! Nochmals: Ich – werde -  geliebt – haben!

Doch: wie soll das liebestechnisch und nüchtern betrachtet in der Praxis funktionieren?

Analytisch gesehen bedeutet dies:

1.    Es ist noch weit und breit kein Liebhaber in Sicht.
2.    Den könnte ich jedoch schon lieben, so er in dieser vollendeten Zukunft
       auch tatsächlich erscheint.
3.    Nur, der hat bereits die Reissleine gezogen und ist längst über alle
       Berge verschwunden – Es heisst ja „GELIEBT HABEN“ und dieses Verb
       „HABEN“, erklärt meiner Meinung nach das Verschwinden des
      
 vermeintlichen Herzkönigs.

Sehen sie, deshalb ist Grammatik ganz und gar nicht mein Ding. Zu kompliziert und wie das Beispiel mit den schönsten drei Worten zeigt, eine einzige Verstrickung.

Doch nun holt mich die Wirklichkeit ein. Und dies einzig und allein, weil ich die Hausaufgaben meines Enkels überwache. Er lernt - farbig untermalt - die Substantive von den Verben und die Adjektive von den Pronomen zu unterscheiden. Er trennt die Gegenwart von der Vergangenheit und übt die Zukunftsformen. Heldenhaft sitze ich daneben und lerne mit. Und ob ich will oder nicht, die Grammatik fordert mich zum Kampf. Das soll sie nur, ich bin bereit. Bestimmt gehe sie als Siegerin daraus hervor!

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