Wir lassen uns nicht unterkriegen!

Benita Batliner, 25.11.2019

Benita Batliner
Benita Batliner

Dicke Wolken hingen über dem Tal. Regina stand mit hängenden Armen am Fenster, ihren Blick ausdruckslos in die Ferne gerichtet. Eigentlich mochte sie den Winter, diese Zeit des Rückzugs, in der die Natur sich in aller Stille auf den Frühling vorbereitete. Sogar die Dunkelheit hatte ihren Reiz für sie, schenkte sie doch Gelegenheit, Lichter anzuzünden und zur Ruhe zu kommen.

Diesen Winter war es anders. Chaos hatte sich in ihrem Leben eingenistet und schlang seine Krakenarme um jeden Bereich ihres Lebens. Es war so schnell geschehen, dass sie heute noch nicht verstand, wie es so weit hatte kommen können. Aber was spielte das für eine Rolle? Jetzt war es so wie es war.

Sie hatte sich den Kopf über das Wie und Wieso zermartert bis sie glaubte, nicht mehr denken zu können. Es hatte nichts geholfen. Jetzt erlaubte sie sich zum ersten Mal, den Schmerz und die Frustration zu fühlen. Sie wehrte sich nicht länger, gab sich der Wut hin, der Enttäuschung, der Trauer und liess sie in ihrem Körper aufwirbeln und in sich zusammenfallen, wie der Schnee, den der Wind draussen über die dick verschneiten Felder tanzen liess. Es tat gut.

Regina sank in ihren Schaukelstuhl vor dem Ofen und schloss die Augen. Das sanfte Schaukeln tröstete sie. Nach einer Weile stiess sie sich mit den Füssen am Ofen ab, lehnte sich im Stuhl nach hinten und kam mit dem Vorwärtsschwung und einem kleinen Lächeln im Gesicht zum Stehen. Mit grossen Schritten ging sie zum Schrank, schnappte sich Mantel und Schal, schlüpfte in ihre Stiefel und verliess das Haus.

Der Schnee knirschte unter ihren Sohlen und der Wind kniff ihr in die Wangen. Regina sog die kalte Luft tief in ihre Lungen ein und zog sich den Schal über den Kopf. Der Weg zum Wald war unter Schneewehen begraben. Es kümmerte Regina nicht. Sie stapfte Schritt für Schritt voran. Sie hatte kein Ziel, sie wollte nur draussen sein, verbunden mit den Elementen, um ihnen alles zu übergeben, was ihren Verstand und ihr Herz bedrückte.

Die Luft war eisig und hie und da hingen kleine Eiszapfen in den Ästen der Bäume. Regina blieb stehen, um Atem zu schöpfen und liess ihren Blick über die zugedeckten Wiesen schweifen. Abdrücke von Pfoten durchbrachen das makellose Weiss. Sie führten zu einem aus dem Schnee gescharrten Loch. Vielleicht ein Fuchs der nach Nahrung suchte, dachte Regina und folgte den Spuren. Das Tier hatte bis zum Grund gegraben und das zerdrückte Gras der Kälte preisgegeben. Mittendrin blühte eine gelbe Primel. Regina zog die Augenbrauen hoch und wandte ihren Blick zum Himmel. Zwischen den Wolken sah sie das fahle Gesicht der Sonne, aber schon bald würde sie mit ihrer ganzen Kraft hindurch brechen.

Regina wandte sie sich wieder der Primel zu und lächelte.

„Wir zwei lassen uns nicht unterkriegen. Nicht einmal mitten im kalten Winter.“

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