Bitte keine Reklame

Béatrice Stössel, 29.03.2023

Béatrice Stössel
Béatrice Stössel


Mein Briefkasten platzt oft aus allen Nähten trotz des Hinweises am Einwurfschlitz: Bitte keine Reklame. Man rät mir, welches Auto ich kaufen soll, will mir gerade jetzt die Renovation des Badezimmers oder den Einbau einer modernen Küche mit Teppan-Yaki-Platte inklusive Kochkurs schmackhaft machen. Gelegentlich schaue ich mir all diese Angebote an und gebe zu, ich liebäugle schon mal damit, mir das eine oder andere zu leisten. Die Papierflut ist jedoch unverhältnismässig und wenn es zu arg wird, landet alles ungelesen im Altpapier, welches ich pflichtbewusst entsorge.
Was ich immer studiere, sind die Reiseangebote. So träume ich mich in die Ferne, bummle im Geist durch Städte oder lasse mich von einem Sternenhimmel in der Wüste zu fantasievollen Nächten inspirieren. Kunst und Kultur, fremde Völker, das alles interessiert mich sehr. Mit meiner Reiselust ist es jedoch spätestens vorbei, wenn ich bei den Kosten für solche Individualreisen angelangt bin. Bestimmt ist dieser Preis gerechtfertigt, wenn man alles einrechnet, angefangen mit den Kleinstgruppen, der gut informierten Reiseleiterin, welche die Gruppe begleitet, bis hin zum tollen Hotel und so weiter.
Kürzlich sprach ich mit einer Bekannten über dieses Thema und sie meinte nonchalant: «Ach, man muss sich doch im Leben etwas gönnen.» Die hat gut reden, beerbte sie doch kürzlich gerade ihren reichen Onkel, dann darf es schon ein bisschen mehr sein. «Verzichten? Wieso? Wozu? Das Geld muss unter die Leute», lachte sie und damit war das Thema erledigt.
Das ist übrigens gut so, denn Reisen bildet. Senioren, welche die Gunst der Stunde nutzen, und sich auf den Weg machen andere Länder, Sitten und Gebräuche kennenzulernen, scheint es viele zu geben. Die Kategorie: Teenager-Spätlese verfügt über Geld und kann und soll es auch ausgeben. Das generiert Arbeitsplätze.

Mit gleicher Post flattern jedoch auch Bettelbriefe ins Haus. Terre des Hommes, Rotes Kreuz, MS-Gesellschaft, Krebshilfe und so weiter und so fort. Und ich lande wieder in der Realität, wenn ich an meinem Küchentisch sitze und die Morgenpost sortiere.
Ich frage mich: Wie schaffen es Familien, Senioren, oder Singles, welche nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurden, Monat für Monat über die Runden? Denn auch ihnen wird doch der Speck durch den Mund gezogen mit dieser Werbeflut. Auch sie sind nicht gefeit davor zu träumen von einem besseren Leben, in dem ihr Geldbeutel immer mindestens halbvoll und nicht gänzlich leer ist?

Gerade wurde wieder um den Teuerungsausgleich bei den AHV-Renten gefeilscht. Dieses Geld sollte für einen sorgenfreien Lebensabend genügen. Dies war die Idee damals, 1948, als dieses Sozialprojekt startete. Die Rente sollte reichen, um ein menschenwürdiges Leben nach der Arbeit zu geniessen. Man ging davon aus, dass man(n) mit 65 Jahren pensioniert wird und kalkulierte eine Lebenserwartung von drei bis fünf Jahren über den Arbeitsprozess hinaus. Doch die Gegenwart zeigt anderes, die Senioren erreichen zum Teil ein Alter biblischen Ausmasses. Glück hat, wem sein 3-Säulenprinzip genügend Geld ins Portemonnaie spült.
Doch viele Alte leben in unserem Land einzig von der AHV oder bestenfalls noch einer kleinen Rente nach der Pensionierung.

Es gibt Lebenskünstler*innen die plus/minus gut damit zurechtkommen. Ich kenne solche Rentnerinnen und höre sie, trotz kleinstem Budget, nie klagen. Im Gegenteil, sie sind zufrieden und tragen ein Lächeln im Gesicht. Sie haben sich organisiert, wissen wo man was günstig einkaufen kann und holen sich die Schnäppchen. Wenn sie reisen, dann in Gedanken oder sie blättern sich durch Bildbände über fremde Länder in der Bibliothek und wissen oft mehr über andere Kulturen, als die Jetset-Reisenden. Sie hören sich die Konzerte im Radio an und sind gedanklich bei den Festspielen am Bodensee oder in der Arena in Verona dabei. Was ich sagen will: Diese Menschen, die mit Würde ihren Alltag bestreiten, auch ohne Luxusreisen, SUV-Kutschen und mindestens drei Ferienreisen pro Jahr, diese Menschen sind für mich Helden, weil sie es fertigbringen, mit dem was sie besitzen, ein erfülltes Leben zu leben. Ich ziehe meinen Hut und bewundere, wie sie trotz Rappenspalterei (anders geht es nicht) dem Tag die guten Seiten abgewinnen. Und vielleicht haben sie ja mal Glück, und knacken den Lotto-Jackpot. Wieso eigentlich nicht? Ich wünsche es ihnen!

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