Brigitte Bartholet | Einsteins Zitat

Brigitte Bartholet, 25.03.2020

Brigitte Bartholet
Brigitte Bartholet

Der Lockdown führt uns alle zu einer massiven Zäsur im Alltag. Er grenzt uns ab von der Gesellschaft, von der Wirtschaft, vom öffentlichen Leben und vom materiellen Konsum. Für so viele ist der Überfluss aus lauter Gewöhnung gewöhnlich geworden.

Jetzt ist Schluss mit lustig. Der ungewohnte Verzicht und die massive Einschränkung katapultiert uns brutal aus unserer Komfortzone, hinein in eine Zeit der Enthaltsamkeit.

Wie nachdenkwürdig, dass uns allen eine radikale materielle und soziale Fastenzeit auferlegt wird.

Fasten im üblichen Kontext bedeutet: freiwilliger und zeitlich begrenzter Verzicht auf Nahrungsaufnahme. Entsagung kann viele Ziele und damit eine umfassendere Bedeutung beinhalten: überflüssigen Ballast abwerfen, sowohl körperlich als auch emotional und seelisch. Klärung, Reinigung, Loslassen, Befreiung, Selbsterkenntnis und Neuanfang. Die Auslöser eines Fastens für das Kollektiv wie auch für das Individuum können variieren. Seit jeher gelten Notsituationen als eine der wesentlichen Ursachen für Askese.

Ich persönlich bin mir das freiwillige - nicht aber das kollektiv verordnete – Fasten gewohnt. Jeder Entschluss, mein Leben oder meinen Blickwinkel einer Veränderung unterziehen zu wollen, bedeutet Aufgeben von Bekanntem und Einlassen auf Unbekanntes.

Ich kenne Herzklopfen, Schwindel und das Gefühl von Unwohlsein zu Beginn jedes Fastens. Mittlerweile bin ich ziemlich geübt darin, diese Unannehmlichkeiten zu ertragen, weil ich erfahren habe, dass sie verschwinden, um befreiten Gedanken und einem geklärten Organismus Platz zu machen.

Ein solcher Reinigungsprozess wirkt sich auf die physische und psychische Gesundheit aus. Heute begegne ich der lauten Krise deshalb mit Isolation, indem ich radikale Abkehr übe von egoistischen Ignoranten, unsolidarischen HamsterkäuferInnen und Corona-Gaunern. Mich nerven die oberflächlichen Witze über Nudeln als «das neue Gold» und WC-Papier als «gewinnträchtige Wertanlage» ebenso, wie die Fake-News und die Panikmache aus den Medien.

«Inmitten der Schwierigkeiten liegen die Möglichkeiten»

Albert Einsteins Zitat nimmt mich in den Bann.

  • Wo könnten inmitten der Turbulenzen Chancen zu finden sein?
  • Wie liessen sich Ängste auflösen und Sicherheit gewinnen?
  • Womit könnte ich aus Gewohntem wieder Ersehntes machen?
  • Sollte ich mich öfter fragen, wer und was wirklich wichtig ist?
  • Bringt diese ernsthafte Krise nicht auch Positives mit sich?
  • Was darf ich in dieser Zeit an Besonderem erfahren?

Das Leben geht trotz der Unsicherheit weiter und ich freue mich auf diese aussergewöhnliche Fastenzeit. Sie wird definitiv eine neue Dimension erhalten.

Während meinem Waldspaziergang (selbstverständlich alleine) zwitschert mir eine unbekümmerte Vogelschar quirlige Antworten auf meine Fragen zu. Ich geniesse die üppige Blust, den plätschernden Bach und den Frühlingswind. Darf ich in Zeiten der Bescheidenheit überhaupt Freude und Zuversicht empfinden? Fasten hat doch mit Spass und Vergnügen genauso wenig zu tun, wie diese Periode der Pandemie.

 

Nachdenklich an einen Baumstamm gelehnt entdecke ich auf einmal die leisen und kleinen Frühlingszeichen und weiss: genau sie zeigen mir die Fülle inmitten der Entbehrungen. Ich nehme mir die Freiheit und stehe hoffnungsvoll und mutig zu meinen kleinen Fastenfreuden. Sie müssen nicht laut im Aussen gefeiert werden. Sie wachsen kraftvoll im Inneren.

Sensibel, dezent, noch etwas schwindlig, bald aber blühend.

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