Brigitte Hieronimus - Ein moralisches Dilemma

Brigitte Hieronimus, 28.01.2021

Brigitte Hieronimus
Brigitte Hieronimus

Was gut und böse ist, lesen wir in der Bibel. Kirchen haben „das Böse“ jahrhundertelang benutzt und die Hölle als Strafinstanz erhoben, um folgsame Schäfchen zu erziehen. Das Gebot „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, klingt nicht gutherzig. Es war Teil des Gesetzes, das Gott den Israeliten durch Moses gab. Damit war kein blinder Rachefeldzug gemeint. Eher ging es um die angemessene Verurteilung von Straftaten, die von eingesetzten Richtern verhängt werden sollte. Jesus hingegen verkündete „Ihr habt gehört, dass den Alten gesagt ist `Auge um Auge, Zahn um Zahn`. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die andere hin.“ (Matthäus 5:38.39) Er predigte, wie später Gandhi, von Gewaltfreiheit, Nächsten- und Feindesliebe. Beide kamen durch Gewalt um. War Jesus ein Gutmensch?

Im Jahre 2015 wurde der Begriff „Gutmensch“ zum Unwort des Jahres gekürt. Gemeint war eine hämisch herabqualifizierte Haltung missionarisch wirkenden Menschen gegenüber, denen man realitätsfernes politisches oder soziales Engagement unterstellte. 

Der Duden nahm den Begriff bereits 2000 in seine Sammlung auf und lässt bei dem Begriff `Gutmensch ́ negativ mitschwingen, dass es sich um einen naiven Menschen handelt, der sich in einer unkritisch übertriebenen, nervtötenden oder ähnlich empfundenen Weise für „Political Correctness“ einsetzt. Hingegen lobte 2006 der Journalistenverband den Gutmenschen als einen Menschen mit positiven Antrieben, der humanistische mitmenschliche Ziele höher einschätzt als zweckorientierte Argumente und Geringschätzung dafür erntet.

Übertragen wir den Begriff auf heutige Zeiten, finden sich in „systemrelevanten“ Berufsgruppen Menschen, die durch die Coronazeit Aufwertung erfahren. Diese Menschen tun Gutes, indem sie pflegen, retten, helfen. Am Rande gehören die Kassiererin und die Verkäuferin auch dazu, wenngleich diesen Berufsgruppen oft nur ein verbale Anerkennung gezollt wird. Lehrer und Erzieher? Polizisten und Ordnungshüter? Ja klar, auch die. Sie setzen sich dafür ein, politisch angewiesene Zwecke zu verfolgen. Die meisten fühlen sich ihrem Auftrag treu verpflichtet. Sie werden gebraucht! 

Sie könnten sich durchaus krankschreiben lassen. Husten, Schnupfen, Niesen: Bitte zu Hause bleiben. Doch sie kommen zur Arbeit und setzen dabei mitunter ihre Gesundheit aufs Spiel! Wenn das keine Gutmenschen sind. Und – sie gehen nicht auf die Straße wie „regierungsfeindliche Verschwörer und realitätsferne Menschen, die unverhältnismäßige Maßnahmen anzweifeln“ und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung einfordern. Wagen sie es zu protestieren, werden ihnen dienstrechtliche Maßnahmen angedroht. Etliche von ihnen befinden sich in einem moralischen Dilemma. Das wird ihnen kaum gedankt.

Eine Freundin von mir, meint: „Querdenker wird zum neuen Schimpfwort, zum herabsetzenden Adäquat zu Gutmensch der Zeit von 2015. Eine Erziehungs- und Bestrafungsmaschinerie wird in Gang gesetzt, um unerwünschtes Selbstdenken zu unterbinden.“

Bedauernd füge ich ein: „Das Freudvolle, das Miteinander, der Austausch, die Berührung, die Kunst – das alles wird „verboten. Künstler sind nicht systemrelevant, weil ... Konzerte brauchen wir nicht, weil ... Café- und Restaurantbesitzer dürfen nicht öffnen, weil sie... ?“

Sie nickt und antwortet: „Die „Wir-meinen-es-ja-nur-gut-Menschen“ schwingen sich auf zu den neuen Gutmenschen. Nicht wenige mit Blockwartmentalität. Sie geben sich ethisch und moralisch einwandfrei, wissen und ordnen an, was für andere gut ist. Die gutwilligen Schafe werden von guten Mächten wunderbar getragen, so verkünden sie es.“

Zahlreiche Mitmenschen der angeordneten „Gutmenschzeit“ verhalten sich opportun verantwortlich, politisch korrekt und glauben an das, was von „oben“ verkündet wird. Sie stellen keine Verordnung in Frage. Verbote können ihnen nicht streng genug sein, solange der Zugriff der Angst wirkt. Der Fingerzeig gilt denen, die sich nicht an die Regeln halten und andere in Gefahr bringen mit ihrem nervtötenden, systemfeindlichen Auftreten. Die Bösen, das sind immer die anderen. Ein jeder ist des anderen Feind. Auge um Auge stehen sie sich in der Menschheitsfamilie gegenüber.

Leben wir nach Moses falsch verstandenen, jahrhundertelang missbrauchten Gesetz? Haben wir uns nicht schon genug verletzt? Genügend Niederlagen erlitten? Schlachten geschlagen? Was würde geschehen, wenn wir in (verordneter) feindlicher Zeit, unserem Gegenüber friedfertig die andere Wange hinhielten, was nichts anderes ist als eine Metapher für Interesse an und Akzeptanz für den Andersdenkenden?

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