Eveline Keller, 08.07.2021
Es ist schwül in der
Reithalle. Vor Konzentration tropft mir der Schweiss in die Augen. Mir scheint es
als schier unlösbare Aufgabe, alle
Anweisungen meiner Reitlehrerin, in die Tat umzusetzen. Aber ich gebe mir Mühe.
Sobald ich mich in den Sattel des gutmütigen Braunen gewuchtet habe, weist sie
mich mit ruhiger, aber bestimmter Stimme an: Die rechte Schulter leicht nach
hinten, die Steigbügel mit den Fussballen fixieren, in der Mitte des Sattels
bleiben, das Becken leicht zurück kippen, nicht mit den Knien, sondern den
Waden klammern, die Fersen an den Bauch halten, leichter Trab reiten, sich nur
wenig erheben, nicht herab plumpsen, jetzt sitzen bleiben, und vergessen sie
nicht zu atmen!
All das gleichzeitig umzusetzen ist Schwerarbeit. Es gelingt mir schon besser, als zu Beginn. Da baumelte ich wie ein Kartoffelsack von einer Seite zur andern. Ich konnte mich nur knapp im Sattel halten. Es gelang mir gar nichts. Einmal kippte ich nach vorne und blickte für eine Schrecksekunde über die linke Schulter des Hengstes in die Tiefe. Entsetzt wich ich zurück. Da gings runter, da wollte ich auf keinen Fall hin.
Heute findet das «später» statt, mit dem ich meinen langehegten Traum vor mich hergeschoben habe. Schon als junges Mädchen liebte ich das Reiten und war entzückt, ja völlig entrückt, sobald ich auf einem Pferd sass. Von da oben war die Welt eine andere. Das Gefühl des kraftvollen Tierleibes unter mir, gab mir eine innere Ruhe. Ich wollte wie eine Nomadin durch die Prärie ziehen. Ich wollte mit ihm auf eine Reise gehen, die, wo immer sie mich hinführte, für mich spannend war. Es bedeutete mir alles. Das war mein Element und das, nach dem ich gesucht hatte.
Doch die Möglichkeiten waren dürftig. Zum einen war der Reithof weit entfernt, zum andern konnten sich meine Eltern die Lektionen nicht leisten, und wenn, dann nur ausnahmsweise, für eine Saison. Danach musste ich es können, oder es selbst berappen. Man riet mir, es mit Stall-Ausmisten abzugelten, aber die Besitzer winkten ab. Sie hatten bereits genug flinke Helferinnen.
Und was geschah? Mit der Pubertät verlor ich das Ziel aus den Augen. Das Zusammensein mit Freunden wurde mir wichtiger, oder der Besuch des Jugendhauses, oder mich beschäftigte die Liebe, oder ich war unglücklich, oder alles zusammen.
Ab und an kehrten meine Gedanken zum Reiten zurück, die Idee war vorhanden, aber das Leben kam dazwischen. Erst mal die Ausbildung bewältigen, dann die Karriere anschieben, dann die Kinder grossziehen und dann die Work-Life-Balance austarieren. Alles ging einfach nicht, und ich schob es auf später.
Dieses «später» ist jetzt! Ich sitze endlich im Sattel. Von meinem früheren Können kann ich nur träumen. Ich kenne zwar das Gefühl, mit einem Pferd durchs Feld zu reiten und mit ihm im Galopp davon zu preschen. Doch von der Ausführung bin ich noch Lichtjahre entfernt.
Vorerst wird mein Schulpferd von der Lehrerin im Kreis geführt. Manchmal frage ich mich, wie die anderen Reitenden das hinbekommen? Sie wirken, als würden sie am Sattel kleben. Dagegen spicke ich mal dahin und dorthin. Wahrscheinlich habe ich die Muskeln nicht dort, wo sie gebraucht werden oder es sind zu wenige, oder ich verkrampfe mich zu sehr.
Du brauchst Geduld, ermahne ich mich wieder und wieder. Es ist noch keine Meisterin vom Himmel gefallen. Früher oder später werde ich es schaffen. Und tatsächlich, nach der vierten Lektion, oder war es die fünfte, bewegte ich mich beim Englisch Trab für einen Augenblick im Rhythmus des Pferdes.
Das war es! Dieses umwerfende Gefühl mit dem Tier eine Einheit zu bilden. Daran arbeite ich noch.
Ganz genau – jetzt ist der richtige Zeitpunkt! Egal, wie lange es gedauert hat, die Zeit dafür spielt doch nur eine untergeordnete Rolle. Hauptsache, du hast auf dein Herz gehört und mit Eifer, Mut und Geduld das Reiten überhaupt noch angepackt – Gratulation!
Wie viele Menschen suchen nach Ausreden, ihren Träumen nicht mehr nachzugehen. Oftmals auch mit dem erschreckenden Gedanken, ob es sich überhaupt noch lohnt, mit dem Älterwerden nochmals etwas Neues anzupacken. Ich habe mich ebenfalls erst jetzt im reiferen Alter entschieden, meinem Leben nochmals eine Wende zu geben und eine Ausbildung am FSB anzupacken, nun mit mehr Zeit und Ruhe als früher mit Kleinkindern.
Auf jeden Fall ist es stets eine Bereicherung für sich selbst und sein Leben, seinen Träumen nachgegangen zu sein. Und wie Titus Livius sagte: «Besser spät als nie.»
In diesem Sinne wünsche ich dir noch viele beglückende und freie Momente auf dem Pferderücken, liebe Eveline.
Liebe Grüsse Nora
Liebe Eveline,
Vielen Dank für deinen Bericht. Ich kann dir gerade sehr gut nachfühlen. Genauso ergeht es mir dem Klavierspielen. Ein grosser Kindheitstraum, welcher mir nie erfüllt wurde. Vor 8 Jahren dann erfüllte ich ihn mir selbst für 3 Jahre. Dann Babypause und sonstige Ausreden, warum ich keine Stunden mehr besuche, wie ich kann ja nun Noten lesen und müsste nur mehr Disziplin an den Tag legen indem ich selbst weiterlerne. Später, später, später....aus später wurde bis heute nie..
Nun habe ich mich wieder "überwunden" und mich für Stunden angemeldet. Ich freue mich riesig darauf, gepaart mit meinem guten Freundin der Ungeduld :) Dein Bericht hat mir genau die richtigen Impulse gegeben und mich bestätigt, "eifach mache" oder "steter Tropfen hölt den Stein" vorallem wenn es einen doch so glücklich macht :)
Liebe Grüsse Leila
Liebe Nora und Leila
Gerade in schwierigen Zeiten wie jetzt hilft es sehr, wenn man seinen Träumen nachspürt und wenn die Möglichkeit besteht, sie zu verwirklichen, dies anpackt. Ich danke für eure lieben Worte und wünsche euch auch alles Gute.
Liebe Grüsse, Eveline
Liebe Eveline
Freut mich für dich dass Du so ein schönes Hobby wiederentdeckt hast. Gibt es etwas besseres als ein eigener Ort, wo man für sich positive Energie tanken kann? Für viele Frauen und Mütter, nach den etwas stressigen Familien-Jahren, wird es irgendwann klar dass die Frau selbst zuständig, für das innere Glück, Freiheit oder wie man es auch nennen möchte, ist.
Zuständig dafür dass sie immer wieder ( wenn nicht konstant) dass Gefühl von Freiheit, Glück oder Leichtsamkeit spüren kann. Und hoffentlich gut geniessen können, ohne Reue und eventuelle «sollte ich nicht noch das machen»... Lieber Gruss isabella