Matthias Wiemeyer, 31.01.2020
Wer lecker kochen will, braucht frische Zutaten. Dann wird das Mahl zum sinnlichen Vergnügen. Auch Ihre Leser können Sie mit frischen Tönen überraschen oder ihnen flaue Alltagskost servieren. Wie Sie Ihre Worte appetitlich wählen, habe ich in einem Artikel ausführlich erklärt.
Dann wäre ja eigentlich alles klar.
Aber es ist wie oft beim Schreiben: Verstehen reicht noch nicht. Man muss sich
die Einsicht zu eigen machen, sie zu einem Teil des eigenen Denkens, Handelns
und Fühlens machen. Wenn sie in Ihrem Alltag angekommen ist, wird sie ganz
selbstverständlich Ihren Stil bereichern.
Darum geht es heute. Wie Sie im Alltag üben können, so zu denken und zu
sprechen, dass auch Ihre Texte strahlen.
Die Extramühe zahlt sich aus
Den Unterschied sehen wir zum Beispiel bei den Rückmeldungen zu unseren Kursen
(wir lesen sie alle sehr genau). Häufig erschöpft sich das Feedback in
allgemeinem Lob: “Der Dozent war gut und der Aufbau hat mir gefallen”. Das
freut uns zwar, bringt uns aber nicht weiter. Hilfreicher sind Rückmeldungen,
die das Gute (oder die Kritik) in treffende Worte kleiden. “Eure Beratung”,
schrieb uns neulich eine Teilnehmerin, “hat mir die Entscheidung leicht
gemacht, weil ihr mir die Unterschiede zwischen den Ausbildungen ganz genau
erläutert habt. Ausserdem hatte ich nie das Gefühl, dass ihr mir etwas
aufschwatzen wolltet.”
So eine Aussage freut uns besonders; weil wir uns verstanden fühlen und die
Extramühe Wertschätzung verrät.
Überall, wo Sie Ihr Zusammenleben mit anderen Menschen gestalten, ist das
treffende Wort eine Bereicherung. Zuerst müssen Sie nachdenken. Aus der
Frage:”Was genau ist hier wichtig?” wächst eine Einsicht, für die Sie dann die
treffenden Worte suchen können.
Das flaue Curry
Kürzlich haben meine Frau und ich in einem Restaurant ein Curry gegessen.
Nachdem sie es probiert hatte, sagte sie zu mir: “Deins schmeckt mir besser.
Deins ist mit feinen Fruchtnoten abgeschmeckt; es schmeckt nicht nur scharf,
sondern hat auch noch andere Aromen zu bieten, wenn man aufmerksam
hinschmeckt.”
Was glauben Sie, wie stolz ich war.
Wenn Sie das nächste Mal ein Lob verteilen, suchen Sie vorher nach dem
treffenden Wort. Sagen Sie nicht einfach: “Das hast du gut gemacht.” Denken Sie
erst nach, suchen Sie das treffende Wort und sagen Sie dann, was genau den
Unterschied macht.
Ein Gentleman in Kochmontur
Anfang Januar gab ich eine Schulung an einer Hochschule. Als ich ankam, wusste
ich nicht genau, wo ich hinmusste. Einen Empfang gab es nicht und das Gebäude
war früh morgens noch menschenleer; nur in der Mensa war schon Betrieb.
Dort dekorierte ein graumelierter Herr in blütenweisser Kochmontur appetitliche
Sandwichs. Als er mich ratlos im Foyer stehen sah, suchte er meinen Blick und
rief mich zu sich.
“Wie kann ich Ihnen helfen?”
“Ich suche meinen Seminarraum. Bin zum ersten Mal hier.”
Da kam er hinter dem Tresen hervor, lief ein paar Schritte mit mir und zeigte
mir den Gang, an dessen Ende mein Seminarraum lag.
Das hat mich verblüfft. Ich hätte nie erwartet, dass das Küchenpersonal den
Grundriss der Uni im Kopf hat und auch noch mitkommt, damit ich meinen Raum
finde. Aber er fand das wohl selbstverständlich.
Als ich vier Stunden später mit dem Seminar fertig war, ging ich in der Mensa
essen. Danach wartete ich noch, bis die Schlange an der Essensausgabe sich
aufgelöst hatte. Dieses Mal suchte ich den Blickkontakt zu “meinem” Koch.
“Ist noch etwas?”, fragt er mich.
Und dann hat er von mir ein Kompliment bekommen, das ihn richtig verlegen gemacht hat.
“Bei Ihnen spürt man”, habe ich ihm gesagt, “dass Sie nicht die Stunden zählen, bis Ihr Job fertig ist. Sie wollen, dass die Menschen sich hier wohlfühlen und dass dieser Ort etwas Besonderes ist. Wie Sie mich heute morgen angesprochen und mich auch noch begleitet haben, das hat mich schwer beeindruckt. In so grossen Läden schauen die meisten Leute betont zu Boden, damit man sie in Ruhe lässt. Aber Sie nicht. Sie haben mir geholfen, obwohl Sie nichts davon hatten. Einfach weil es eine nette Geste ist und solche Gesten die Welt etwas menschlicher machen. Das wollte ich Ihnen zum Abschied noch sagen und dafür habe ich extra gewartet, bis die Mensa wieder leer war.”
Da war er an der Reihe, verblüfft zu sein. Am Ausgang angekommen, winkte ich zum Abschied noch einmal. Er stand noch immer da und strahlte.
Das treffende Wort macht unser Leben reicher. Es braucht genaue Beobachtung, sorgfältiges Nachdenken und die Liebe zum Detail im Ausdruck. Üben Sie im Alltag; das macht Sie und andere glücklich. Und auch Ihre Texte werden reicher, wenn Sie sorgfältig Schauen, Denken und Schreiben.