Die neuen Federn wachsen langsam nach

Petra Lienhard, 26.02.2019

Petra Lienhard
Petra Lienhard

Der Tod meines vertrauten Ehepartners, mit dem ich fast mein ganzes Leben geteilt hatte, wirft mich völlig aus der Spur. Ich versuche zu begreifen was geschehen ist. Plötzlich stehe ich da: Allein! Entscheidungen müssen getroffen werden. „Wann kann Ihr Mann vom Leichenbestatter abgeholt werden? “„Möchten Sie eine Erdbestattung oder Urnenbeisetzung? “„Ist ein Testament vorhanden, sind Wertgegenstände im Haus die aufgelistet werden müssen auf Grund der Erbfolge…?”

Per Post werde ich unterrichtet, dass ich 2 Tage später mit meinen Söhnen beim Grundbuchamt zu erscheinen habe. Mir schwirrt nur der Kopf. Zum Glück sind Michael und Oliver an meiner Seite. Ich durchlebe die Tage wie in einer Luftblase. Es gibt kein Oben oder Unten. Meiner Kinder wissen was zu tun ist und regeln alles. Einmal hier unterschreiben, einmal dort. Lesen oder gar begreifen, tue ich nichts!

Als der Leichenbestatter meinen Mann abholt ist die Endgültigkeit fast nicht zu ertragen. Eine lähmende Leere macht sich breit. Aber der Alltag fordert mich. Auf zum nächsten Schritt: Die Beerdigung! Wir entscheiden uns für eine Urnenbeisetzung. Ein paar Tage später erhalte ich die Nachricht, die Urne stehe in Winterthur zum Abholen bereit. Michael bringt sie mir. Sorgfältig trage ich das Gefäss nach oben in unser Schlafzimmer und lege es in das Bett neben mir. Vor dem Tod meines Gatten empfand ich bei dem Gedanken, neben einem verstorbenen Körper oder seiner Asche zu schlafen, nur nacktes Grauen. Um so mehr bin ich erstaunt, dass ich genau das Gegenteil empfinde. «Tiefe Ruhe!»

Eine Woche lang gehe ich, die Urne gut versorgt in einer dezent gemusterten Tasche, auf Wohnungssuche. Ich zeige sozusagen meinem Mann die Objekte und frage bei jedem: „Was meinst du, gefällt dir diese Wohnung?” Doch keines der Angebote entspricht unseren Vorstellungen. Mal ist es zu teuer, mal ist der Balkon zu klein, oder die Aufteilung der Zimmer ungünstig. Durch das rasch näher rückende Datum der Beisetzung wird unsere gemeinsame Suche unsanft beendet.

Ein paar Tage nach der Beerdigung, überrascht mich mein jüngster Sohn mit einer neu erstellten Wohnung. Ich muss zugeben. Ich bin enttäuscht! „Das ist eine Parterrewohnung!“ stelle ich fest. „Nein, ich will eine Wohnung möglichst zweites oder drittes Obergeschoss!” „Also nein, und dann noch Fensterläden…”Wie gut, dass mein Sohn sehr überzeugungskräftig ist. Noch habe ich kein gutes Gefühl dabei. Muss aber gestehen, seine Argumente überzeugen mich.

Der Schmerz, Liebgewonnenes und Vertrautes hergeben zu müssen, ist unendlich. Meine beiden Katzen, die mir das Alleinsein erträglicher machen, muss ich ebenfalls loslassen. In den Statuten der Eigentumswohnung habe ich den Artikel, dass keine Haustiere erlaubt sind, völlig übersehen. Da ich bereits eine Anzahlung gemacht habe, gibt es kein Zurück. Lange Zeit schlafe ich weinend ein, bis ich mich mit dem weiteren Verlust abfinden kann. Der Start am fremden Ort in einen neuen Lebensabschnitt gelingt nur durch die Tatkraft meiner Kinder und die Unterstützung gepaart mit viel Verständnis meiner Umgebung.

Der Anfang ist gemacht. Die neuen Federn wachsen ganz langsam nach, aber es wird dauern bis mich das neue Kleid auch wärmt.

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