Die unheilvolle Allianz oder das Schwirren um den tiefgekühlten Mann

Julia Onken / Mathias Jung, 28.05.2020

Julia Onken und Mathias Jung
Julia Onken und Mathias Jung

Ja, auf viele Frauen wirkt gerade der unterkühlte, ferne und distanzierte Mann wie ein Magnet. Wir spüren ihn in einer Hundertschaft auf, entdecken ihn im hintersten Winkel von Beziehungsgeflechten, wittern ihn mit zielsicherer Nase: den Mann. Wortkarg. Gefühlsarm. Innerlich verwaist.

Und trotzdem sind wir derart versessen, ausgerechnet ihn zu erobern, in ihm Interesse für uns zu wecken, ihn zu ergattern. Wir lassen den freundlichen, liebenswürdigen Sozialarbeiter links liegen, und ein müdes Lächeln entflieht uns beim Anblick des in einer Wollweste gekleideten Altenpflegers. Und wenn uns dann noch einer von diesen sensiblen Männern erzählt, er sei von seiner Frau geschlagen worden, dann will sich in uns kein Fünkchen von Mitleid einstellen. Im Gegenteil. Wir denken sogar, selbst schuld, Weichei, so einen wie dich muss man eben verdreschen, damit er überhaupt merkt, dass er am Leben ist.

Trotzdem kann es sein, dass uns klammheimlich der Neid am Schopf packt, wenn die Freundin erzählt, ihr Mann hätte übers Wochenende gebügelt und mal wieder sämtliche Schuhe gewienert. Wir sind davon überzeugt, es muss sich um ein besonders seltenes Exemplar handeln, das näht, putzt, kocht, stickt und flickt, sich fürsorglich um das Wohl von Frau, Kind und Hund kümmert und dennoch nicht im aufgeweicht weinerlichen Softiebereich herumgondelt, sondern eben ein veritabler Mann ist, einer, der »es bringt«.

Obwohl wir eigentlich ständig nach einem solchen Mann fahnden, landen wir, eh wir uns besinnen, beim unterkühlten, distanzierten, gefühlsfernen. Für viele sind das schließlich die heimatlichen Glocken, die da läuten. Der einsame väterliche Glockenschlag in karger Winterlandschaft aus der Jugendzeit wirkt wie ein Lockruf. Viele Frauen könnten ein Liedchen davon pfeifen oder einen Trauermarsch blasen, wie es sich anfühlt, mit einem gefühlskalten Mann zusammenzuleben.

Er band, vorm Spiegel stehend, die Krawatte.
Da sagte sie (und blickte an die Wand):
Soll ich den Traum erzählen, den ich hatte?
Ich hielt im Traum ein Messer in der Hand.

Ich hob es hoch, mich in den Arm zu stechen,
und schnitt hinein, als sei der Arm aus Brot.
Du warst dabei. Wir wagten nicht zu sprechen.
Und meine Hände wurden langsam rot.

Das Blut floss lautlos in die Teppichranken.
Ich hatte Angst und hoffte auf ein Wort.
Ich sah dich an. Du standest in Gedanken.
Dann sagtest du: Das Messer ist ja fort ...

Du bücktest dich. Doch war es nicht zu finden.
Ich rief: So hilf mir endlich! Aber du,
du meintest nur: Man müsste dich verbinden,
und schautest mir wie einem Schauspiel zu.

Mir war so kalt, als sollte ich erfrieren.
Du standest da, mit traurigem Gesicht,
und wolltest rasch dem Arzt telefonieren
und Rettung holen. Doch du tatst es nicht. 

Dann nahmst du Hut und Mantel, um zu gehen,
und sprachst: Jetzt muss ich aber ins Büro!
Und gingst hinaus. Und ich blieb blutend stehen.
Ich starb im Traum. Und war darüber froh. 

Er band, vorm Spiegel stehend, die Krawatte,
Und sah im Spiegel, dass sie nicht mehr sprach.
Und als er sich den Schlips gebunden hatte,
griff er zum Kamm. Und zog den Scheitel nach. 

(Die unverstandene Frau; Erich Kästner)

Das sind die klassischen Szenen einer Ehe. Auch in diesem Bereich bin ich Partei, habe es selbst durchgespielt und durchgelitten. Ach, hätte ich diesen Kästner-Text nicht als Trostpflaster gehabt, ich wäre vor Düsternis vertrocknet. Selbst nach einigen Jahrzehnten überfällt mich bei diesem Gedicht die ganze Tragik von damals wieder. Inzwischen haben mir viele Frauen von ähnlichen Erfahrungen berichtet. Vom Jammertal des durch den Partner nicht beantworteten Daseins, vom verheirateten Witwendasein, vom bitteren Gefühl, obwohl ein Vater für die gemeinsamen Kinder vorhanden ist, alleinerziehend zu sein, sich alleine Sorgen um das Wohl des Nachwuchses zu machen, allein zum Elternabend gehen zu müssen und der Kinderaufführung beizuwohnen. Gelegentliche Lichtblicke, wenn der Mann sich erkundigt, in welcher Klasse der Kleine jetzt ist, ob er gar schon zur Schule geht, vermögen den Gram nicht zu schmälern.

Warum aber tun wir uns das an? Warum sagen wir nicht einfach, nein danke, nicht mit mir? Warum halten wir dennoch an einer Konstellation fest, die uns ganz offensichtlich im besten Fall wütend, im schlechtesten krank macht? Und warum fällt es uns denn so verdammt schwer, eine solche Beziehung einfach zu beenden?

Hätte ich das nicht alles am eigenen Leib erlebt, wäre ich wahrscheinlich auch geneigt, den Frauen eine gewisse masochistische Neigung zu attestieren: Ich leide, also bin ich. Zudem habe ich viele Frauen im Prozess des sich Ablösens begleitet und immer wieder feststellen können, mit welcher Vehemenz sie sich an toxische Beziehungsformen klammern.

Mit logischen Erklärungen kommen wir da nicht weiter. Wir müssen uns einer psycho-logischen Analyse bedienen, uns also die Mühe machen, die Logik der Psyche zu erforschen. In dem fantastischen Buch Grundformen der Angst von Fritz Riemann, finden wir hervorragende Denkimpulse, die uns helfen, Licht in die Finsternis zu bringen und vor allem, eigenes Handeln und Denken besser zu verstehen. Das ist immer der Schlüssel, denn bevor wir den Mechanismus, der hinter einem Verhalten steht, nicht verstanden haben, sind wir einer Dynamik ausgeliefert, die mit uns macht, was sie will. Riemann geht von den vier elementaren Kräfte- und Bewegungsimpulsen aus, denen die Erde folgt. Da ist einmal die Kraft der Revolution mit dem Gegenimpuls der Rotation, dann die Schwerkraft mit dem Gegenimpuls der Fliehkraft. Alle Kräfte sind gleichermaßen nötig, damit die Erde in ihrer Umlaufbahn bleibt, weder implodiert noch explodiert. Riemann hatte nun die großartige Idee, diese Kräfte auf die psychischen Verhältnisse des Menschen zu übertragen und konnte zeigen, wie das menschliche Wesen unentwegt bemüht ist, innerlich ein Gleichgewicht dieser Kräfte herzustellen. Somit erhalten Verhaltensweisen und innere Handlungsimpulse immer einen Sinn, geht es doch stets darum, innerlich in der Balance zu bleiben. Ich persönlich erachte diese Erklärung als den eigentlichen Schlüssel, um sich selbst verstehen zu lernen. Und wer sich selbst versteht, kann auch andere verstehen Das ist die solide Basis einer jeden Partnerschaft.

Wenden wir also dieses Muster auch auf die Beziehungsdynamik an, dann wird klar, weshalb wir uns ausgerechnet diesen Partner ausgesucht haben und uns eine Trennung von ihm so verdammt schwerfällt, auch wenn wir wissen, dass er für uns nicht gut ist. Selbst wenn wir in einer Partnerschaft in extreme Leiden hineingeraten, kann es dennoch sein, dass wir nicht in der Lage sind, uns zu trennen, da uns die Trennung ins Niemandsland schleudert, wo die Kräfte der Rotation und Revolution anarchistisch durcheinander geraten und sich gegenseitig bekriegen. Damit werden auch Verhaltensweisen, die sich in der Partnerschaft zeigen und zunächst unverständlich sind, einleuchtend, da sie als ein wichtiger Stabilisierungsfaktor im Kräfteverhältnis begriffen werden können.

Somit ist es sehr verständlich, wenn wir unsere Partner und Partnerinnen nach zwei Kriterien auswählen: Einmal suchen wir das uns Vertraute, zum andern aber das uns Ergänzende. Wir versuchen also, das, was uns fehlt, durch die andere Person zu ergänzen, damit sich die vier Grundkräfte zu einem Gleichgewicht zusammenfügen. Selbstverständlich ist das ein unbewusster Prozess, der sich von alleine vollzieht.

Wenn wir uns nun die für unsere Betrachtung zwei wichtigen, sich ergänzenden Grundkräfte anschauen, so finden wir:

  1. Die Rotation: Wir drehen um die eigene Achse, sind in uns zentriert, folgen eigenen Impulsen, wissen, was wir wollen und was nicht, erleben das eigene Selbst als Zentrum und Mittelpunkt.
  2. Die Revolution: Hier drehen wir uns nicht um die eigene Achse, sondern zirkulieren um ein anderes Zentrum außerhalb von uns.

Der Vollständigkeit halber erwähne ich noch die beiden anderen sich ergänzenden Grundkräfte: Die Fliehkraft und die Schwerkraft. Auch die Psyche des Menschen übertragen heißt das

  1. Die Zentrifugalkraft: Grenzen werden gesprengt und Regeln aufgehoben, die Handlungsaktionen richten sich stets nach außen, es herrscht ein lebendiges, oft in sich widersprüchliches Feuerwerk von Impulsen.
  2. Die Zentripetalkraft: Diese Kraft versucht, dem ständigen Nach-außen-gezogen-Werden Einhalt zu gebieten. Es wird Ordnung angestrebt, Verlässlichkeit und Kontrolle.

Wenn wir nun Psychogramme von Frauen analysieren, sehen wir, dass in unserer Kultur viele von ihnen das Prinzip der Rotation viel zu wenig leben. Sie sind sich, unterstützt durch ihre Sozialisation, abhandengekommen. Sie wissen oft nicht einmal, wo ihre Stärken und Schwächen liegen, haben sich verloren und können sich nicht an sich selbst orientieren. Um diesen Mangel auszugleichen, benötigen sie einen Partner, der dieses Prinzip lebt, das heißt einen, der es im Übermaß lebt, quasi ihren Anteil noch dazu, als Kompensation. Wenn nun aber die Rotation bei diesem Mann übermäßig zum Ausdruck kommt, landen wir genau bei einem Partner, der andere mit ihren Bedürfnissen ausblendet, der autistisch verkümmert, und für den Einfühlung ein Fremdwort ist.

In der Regel verfügen Frauen, die das Prinzip der Rotation zu wenig leben, über ein Übermaß an Bereitschaft, die Revolution zu leben. Damit ergibt sich die »ideale« Partnerin für den tiefgefrorenen Mann. Sie kreist wie die Biene um ihn herum und betüdelt ihn: Hast du die warme Unterhose angezogen? Möchtest du noch ein Brötchen? Geht es dir gut? Was denkst du? Was fühlst du? Sie geht ihm mit ihrem Getön wahnsinnig auf die Nerven. Er fühlt sich bedrängt, in die Zange genommen, möchte Distanz, denn er bekommt keine Luft mehr zum Atmen, will seine Ruhe haben, wehrt sich in seiner Not und stößt sie zurück. Sie fühlt sich ungeliebt, rückt ihm als Reaktion noch dichter auf die Pelle und will jetzt partout wissen, was er fühlt und ob er sie noch liebt. Er wird darauf nur noch ranziger und ruppiger, weist sie harsch zurück und sie fällt in die Verelendung der Verstoßenen. Das Opferdasein ist perfekt, sie ist die arme, die sich aufopfert und doch immer für ihn da ist, er ist der eiskalte Täter. Das klassische Modell einer Eskalation. Am nächsten Tag, wenn sich beide wieder etwas erholt haben, fängt das Spiel von Neuem an.

Beide spüren, wir können nicht miteinander, aber ohne einander geht es auch nicht. Sie benötigen sich gegenseitig, um das Gleichgewicht von Revolution und Rotation aufrechtzuerhalten und sie garantieren sich unbewusst, dass sie sich zusammen in einem Zustand von Gleichgewichtserleben halten, wenn auch in einem unstabilen.

Wie kommen wir aus dem Teufelskreis heraus? Bereits Buddha lehrte (450 v. Chr.): »Vom Denken gehen die Dinge aus, alles ist im Denken geboren, im Denken gemacht.« Wir müssen also das Problem zuallererst denkerisch erarbeiten, begreifen, dass wir – Männer und Frauen – nicht komische Zombies sind, die irgendwelchen undurchsichtigen Eingebungen folgen, sondern Menschen, die versuchen, sich in irgendeiner Weise ins Gleichgewicht zu bringen. Ich bin immer wieder erschüttert, feststellen zu müssen, wie wir mit größter Selbstverständlichkeit bereit sind, komplizierte Handbücher für Computerprogramme zu studieren oder eine Gebrauchsanweisung für den DVD-Player zu lesen, weil es uns sonnenklar ist, dass ohne diesen vorangegangen Denkprozess nichts läuft. Nur wenn es sich um die menschliche Psyche handelt, gehen viele einfach davon aus, irgendwie funktioniere das schon von selbst.

Wenn wir das Modell von Riemann begriffen haben, lassen sich darin sehr leicht Lösungsansätze erkennen. Wir Frauen müssen uns auf uns selbst zurückbesinnen, unser Zentrum ausloten, damit aufhören, immer nur an den stinkenden Socken des Mannes herumzunörgeln, unseren Spähsitz, von dem aus wir jede Bewegung und jeden Atemzug des Partners beobachten, verlassen, und die oft recht beachtlichen detektivischen Recherchen über seine Kindheit und die Zeit vor unserer Beziehung aufgeben. Damit können wir unsere Aufmerksamkeit auf uns selbst richten und  so unseren Pol der Rotation stärken. Dabei können uns philosophische Überlegungen helfen: Wir haben kein Direktmandat vom lieben Gott erhalten, das Seelenleben des Partners auszukundschaften und möglichst dahin gehend einzugreifen, damit er in unser Idealbild passt. Wir haben nur eine Aufgabe: uns selbst zur Entfaltung zu bringen. Löschen wir die Taschenlampe aus, mit der wir immerzu das Seelengebiet des Partners ausleuchten und zünden in unserem Innern eine Kerze an.

Es gibt also noch viel zu tun. Für Männer und Frauen ist es noch ein weiter Weg. Und ich denke, dass Männer gut in Männergruppen und Frauen in Frauengruppen aufgehoben sind, damit wir lernen, uns an das menschliche Programm heranzuarbeiten, um eines Tages in echter Partnerschaft aufeinander zuzugehen.

 

Du, lieber Mathias, begleitest die Männer. Ich die Frauen. Und irgendwann machen wir ein rauschendes Fest.

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