Eine andere Geschichte

Monika Marti, 26.02.2019

Monika Marti
Monika Marti

Im Grunde habe ich mich gefreut, dass unsere Kinder bereits in jungen Jahren den Auszug aus dem «Hotel Mama» gewagt haben. Dass alle drei im selben Jahr und im selben Monat das Weite gesucht haben, wäre jedoch nicht notwendig gewesen. Das Essen am Sonntagabend hatte sich zu dieser Zeit in unserer Familie zum wöchentlichen Treffpunkt entwickelt. Körper, Seele und Geist wurden bei Nahrungsaufnahme und Austausch gestärkt, um den Herausforderungen der nächsten Woche zu begegnen.

Kurz nach dem Auszug der Kinder sass ich eines Sonntagabends mit meinem Mann am Tisch. Das Gespräch verlief etwas schleppend. In mich gekehrt und in Gedanken versunken spürte ich, wie eine Träne mein Auge verliess, sich den Weg über meine Wange bahnte und langsam versiegte. Zurück blieb eine feuchte Spur. Unsere Blicke begegneten sich und ich hörte mich im Flüsterton murmeln: Ich vermisse die Kinder.

Nicht nur der Familientisch – nein, das ganze Haus erschien mir zu dieser Zeit leer. Mehr noch. Tot. Ab und an schrak ich auf um zu lauschen: War eben nicht ein vertrautes Geräusch zu hören? Das Öffnen einer Tür? Der Ton eines zuklappenden WC-Deckels und das Rauschen der Spülung? Aber nein. Fehlalarm. Nichts Anderes als Wunschdenken. Die vermeintliche Vorfreude auf meine persönliche Freiheit und das Leben als Paar gestaltete sich weit weniger fröhlich, als ich mir ausgemalt hatte. Obwohl der Wäscheberg zu einer leichten Anhöhe zusammengeschrumpft war und die Menge an Lebensmitteln problemlos ohne Auto nach Hause getragen werden konnte, stellte sich kein Gefühl der Erleichterung ein. Anstelle von Terminen aus 5 Wochenkalendern hatte ich nur noch deren 2 auswendig zu lernen und in meinen Alltag zu integrieren. Auch diese Tatsache löste keine Freudensprünge aus. Die Tage waren lang und fühlten sich trotz Arbeit im eigenen Geschäft unausgefüllt und langweilig an. Ich kam mir vor wie ein Huhn, dem ungefragt das Federkleid entrissen wurde.

Innerlich schutzlos und verletzlich schlurfte ich wochenlang lustlos durch das Haus. Ich raffte mich zusammen und stellte Möbel um. Das neu eingerichtete Büro im Raum meines Sohnes sah sehr hübsch aus. Betrat ich es, sah ich im Geist meinen Sohn am Pult sitzen, obwohl mein Mann dort Platz genommen hatte. Ich erinnerte mich daran, wie ich gemeinsam mit meinem kleinen Jungen eine Wand im Zimmer dunkelblau gestrichen hatte. Ach, wie war das eine schöne Zeit … In Tat und Wahrheit hatte ich mich damals mächtig aufgeregt. Mein Goldjunge schien mir reichlich ungeschickt mit Pinsel und Farbe umzugehen …

In den Wochen dieser Orientierungslosigkeit führten mein Mann und ich viele Gespräche. Gemeinsam versuchten wir herauszufinden, wie wir den nächsten Lebensabschnitt gestalten möchten. Wir träumten davon, das Familienhaus zu verkaufen und eine Liebeslaube für Zwei einzurichten. Für die Liegenschaft, die wir bewohnten, bestand Sanierungsbedarf. Sollten wir einen Umbau in Angriff nehmen auch wenn spürbar war, dass das Haus kein Alterssitz für uns werden würde? Der grosse Garten rund ums Haus war schön anzusehen. Betreten wurde er meist nur noch, um den Rasen zu mähen. Da wir beide beruflich sehr engagiert waren, würde uns eine grosse Terrasse zum Ausspannen reichen. Wir malten uns unsere Zukunft in bunten Farben aus. Beide erstellten eine Liste mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen, die die Wohnung der Zukunft zu erfüllen hatte. Unter der Haut war plötzlich ein Kribbeln zu spüren. Wir stellten eine Dokumentation für den Hausverkauf ins Netz und nahmen begeistert wahr, dass eine Besichtigung der Liegenschaft von grossem Interesse war. Derweil Paare und Familien die Räume in unserem Haus durchschritten und diskutierten, ob wohnen in dieser Gegend Heimat für sie werden könnte, richteten mein Mann und ich uns gedanklich anderswo ein. Wir besuchten Baumessen, sahen uns zum Kauf ausgeschriebene Bauprojekte an und ich spürte neue Lebensenergie erwachen. Nachdem die Wohnung - die alle Bedürfnisse unserer Liste abdeckte - gefunden war, begann die Auswahl von Farben und Materialien für den Innenbereich. Der Fantasie setzte nur das Budget Grenzen. Als wir im Jahr darauf im Daheim der Zukunft Einzug hielten, strahlte nicht nur dieses in neuem Kleid. Ich stand auf dem Balkon, sah in die Weite und meine Seele spannte ihre Flügel aus. Wie ein Huhn, das seine Schwingen hin und her bewegt und sich wohlig schüttelt, nachdem ihm aufgrund einer Hormonausschüttung ein neues Federkleid geschenkt wurde.

Dass sich zwei unserer Kinder nach Jahren der Selbständigkeit wieder in unseren Räumen eingenistet haben, ist eine andere Geschichte …

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