Julia Onken, 07.08.2018
Um den Hundstagen doch noch etwas Positives abzugewinnen, habe ich sie in Lesetage umbenannt. Wenn das Thermometer steigt, verlasse ich mein Arbeitszimmer und schlage mich mit einer spannenden Lektüre in die Büsche. So auch in diesem Sommer. Aus dem Bücherstapel meines Mannes schnappte ich kurzerhand das Buch Eiszeit von Gabriele Krone-Schmalz, der Titel versprach literarische Abkühlung. Doch weit gefehlt. Mit dieser Lektüre landete ich im hochexplosiven Thema: Wie Russland dämonisiert wird und warum das so gefährlich ist. Von gemächlichem Lesevergnügen keine Spur. Nicht nur die Temperaturen stiegen immer höher, sondern gleichermassen die hitzigen Diskussionen. Und dabei wurde mir bewusst, wie wenig ich weiss.
Eines aber habe ich begriffen, dass ich bis jetzt unreflektiert den Medienberichten blind folgte, die in der Regel von der unterschwelligen Botschaft untermalt sind: Der böse Russe lauert überall. Es gibt die „Guten“, das sind wir im Westen und es gibt die „Bösen“, das sind die andern. Obwohl ich diese Schwarz-Weiss-Einteilung im zwischenmenschlichen Bereich längst als völlig unbrauchbare Bewertungen erkannt habe und möglichst versuche, sie zu vermeiden, lauert stets diese Falle.
Das Buch von Frau Krone-Schmalz hat meine Sichtweise verändert. Ein Satz, der wie eine Melodie nicht mehr aus dem Kopf getilgt werden kann, lautet: „Wenn Russland dopt, warum gewinnen dann die anderen?“ Sie empfiehlt im letzten Kapitel „Selber denken“ und zitiert Frank Nägele: „Ein Grundsatz des gesunden Menschenverstandes lautet: „Glaube nichts, aber halte alles für möglich. Dazu ist es wichtig, Dinge in ihrer Tiefe zu verstehen, bevor man über sie urteilt...“ Es gibt also noch viel zu tun.