Eveline Keller - Mich hat's erwischt

Eveline Keller, 28.01.2021

Eveline Keller
Eveline Keller

Da sitze ich also, bin im Besitz der Krone und somit Königin für einen Tag. Vergessen liegen die zerbröselten Zuckerbrötchen vor mir auf dem Tisch. Die feinen Hefekugeln fand ich ohne Gôut. Um mir nicht auch noch einen Zahn an der Plastikfigur auszubeissen, habe ich sie kurzerhand mit dem Finger durchbohrt. Stolz halte ich den Beweis, der mich zur Regentin macht in den Händen und suche ihn nach weiblichen Formen ab. Nichts! Die Gleichberechtigung ist noch nicht bis hierher vorgedrungen. Aber egal.

Für heute bin ich die Corona-Königin. Mein Reich erstreckt sich zur Zeit über fünfundzwanzig Quadratmeter, Badezimmer und Balkon mit eingerechnet. Nein, ich wurde nicht verbannt wie Napoleon, sondern vom Kantonsarzt in Isolation geschickt. Und so wie es aussieht, kann ich dankbar sein, dass es mich nicht schwerer getroffen hat. Wie einige andere, die auf der Intensivstation liegen, ins künstliche Koma versetzt werden mussten und mit Schläuchen im Hals, mit Sauerstoff versorgt werden müssen. Das blieb mir Gott sei Dank erspart.

Ja, mich hat es auch erwischt, Covid-19, positiv, wurde mir freundlich mitgeteilt. Wobei das Wort «positiv» das einzig Hoffnungsfrohe daran ist. Die Isolation ist unendlich langweilig. Ich musste mich sofort von der Familie separieren und schloss mich mit Handy, Tablet und einem Stapel Bücher in einem Balkonzimmer ein. Ich kann telefonieren. Ich kann mit Desinfektionsspray und Papiertuch bewaffnet, zweimal täglich einen Ausflug in die Küche machen. Dort brühe ich mir einen Krug Tee auf und mit Maske und zwei Meter Abstand wechsle ich ein paar Worte mit meinem Mann oder dem Sohn, für maximal fünfzehn Minuten. Was ich berühre, muss sofort eingesprüht und desinfiziert werden, und danach - husch, husch - muss ich wieder ins Zimmer zurück.

Mir geht es verhältnismässig gut, etwas Kratzen im Hals, etwas Temperatur, ich bin sehr, sehr müde und habe dazu Gliederschmerzen, die mich bei jeder Bewegung ächzen lassen. Darum schlafe ich viel, wobei ich ungewohnt oft von Alpträumen geplagt werde, die wohl durch all die Ängste, die ich rund um das Thema aufgebaut habe hervorgerufen werden.

Um mich aufzuheitern, hat mir mein Mann einen Fünfer Königskuchen geschenkt. Ich liebe das Hefegebäck mit Zuckerschrott und freute mich darauf, den ganzen Kuchen alleine verzehren zu dürfen. Doch schon nach dem ersten Bissen verging mir die Lust daran, es war fad. Zu den üblichen Grippesymptomen gesellte sich eine seltsame Appetitlosigkeit und ich schmeckte nichts.

Trotzdem! Ich bin Corona-Königin. Feierlich setze ich mir die hübsche, mit rosa Punkten versehene goldene Krone auf. Anstelle des majestätischen Hermelins umschmeichelt mich der Bettüberwurf und die Klobürste ist mein Zepter. Erhobenen Hauptes stolziere ich vor dem Spiegel auf und ab und übe das Winken, wie es Königinnen tun. Dann trete ich auf den Balkon, um die Hurrarufe des Volkes entgegenzunehmen. Mein Gatte steht mit dem Kronprinzen im Garten. Er verbeugt sich: «Eure Majestät! Wir haben gute Neuigkeiten, bezüglich der Dauer ihrer Isolation. Der Prinz und meine Wenigkeit haben uns ebenfalls testen lassen. Sobald wir eine SMS mit «positivem» Resultat erhalten, können wir die Isolation innerhalb unseres Schlosses aufheben und die Zeit gemeinsam verbringen.»

«Du bist ein Schatz», bricht es aus mir heraus. «Ich vermisse euch jede Sekunde. Es ist schrecklich langweilig, den ganzen Tag allein zu sein.» Dann fällt mir wieder ein, dass ich Königin bin, also nicke ich erhaben.

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