Gaby Kratzer | Isolationshaft

Gaby Kratzer, 27.03.2020

Gaby Kratzer
Gaby Kratzer

Hier sitze ich nun in Isolationshaft, als Mitglied einer Risikogruppe. Allein in meiner Wohnung und kommuniziere lediglich über WhatsApp, Mail und zwischendurch ruft jemand an. Das sind momentan meine sozialen Kontakte. Die einzigen «realen» Menschen, sehe ich flach vor mir auf dem TV Bildschirm. Ich bewege mich zwischen Sofa, Küche, Esstisch, Bett, Toilette und der Dusche. In dieser Zeit schrumpft nicht nur die Muskulatur, nein auch meine Hirnzellen scheinen sich langsam zu verabschieden. Ich frage mich jeweils, welcher Tag überhaupt ist. Zum Glück bleibt mir noch Home-Office für meinen Arbeitgeber. Danke Corona, merci Virus. Das hast du ja geschickt eingefädelt. Gismo, mein kleiner dunkler Kobold zischt mir gemein ins Ohr: „Du bist gefangen, hier bei mir und die Menschen werden dich allmählich vergessen!“ Traurig senke ich den Kopf und meine Motivation saust vollends in den Keller. Ich könnte heulen. Pukar, meine kleine süsse und liebenswürdige Elfe, die mich immer wieder stärkt, säuselt ins andere Ohr: „So hör doch nicht auf diesen bösartigen Widerling. Er will dich nur herunterziehen und mit ihm bist du immer schlecht beraten. Vertrau mir, du bist stark und hast deinen eigenen Willen.“ Ja, dass kommt mir gerade so vor, als dass ich meinen eigenen Willen hätte. Jetzt lasse ich mich schon von inneren Stimmen manipulieren. Das bereits nach zwei Wochen in den eigenen vier Wänden. Und es wird nicht besser werden. Es ist ein Elend. Wenigstens habe ich genügend Klopapier.

Haben sie das wirklich geglaubt, dass ich mich von so einem Winzling unterkriegen lasse? Ich meine nicht Gismo. Nun gut, sie kennen mich nicht, aber ich bin eine Frohnatur und diese Auszeit ist nicht nur für mich, sondern für uns alle eine Chance. Genau, es ist ein neuer Weg, eine Möglichkeit die Perspektive/n zu wechseln. Wir rennen alle hinter etwas her. Wir versuchen unsere Ziele zu erreichen, sei es im Job, in der Familie oder unsere persönlichen. Jetzt ist die Zeit da, um unserer Bestimmung näher zu kommen. Einmal geht es nicht um Profit zu erzielen, nicht um allen zu zeigen, wie erfolgreich man ist. Mittlerweile geht es um Wesentliches. Um Gesundheit, Glück und Liebe. In diesen Tagen war ich ein paar Mal spazieren. Die Veränderung der Menschen ist bereits zu spüren. Es wird wieder freudig gegrüsst, mit Abstand natürlich. Für Familien ist dieser neue Alltag eine grosse Herausforderung. Mütter und Väter, die plötzlich für die Schulbildung ihrer Sprösslinge verantwortlich sind. Sie stellen fest, dass nicht immer die Lehrer die Ursache sind. Ich hätte jedenfalls nie gedacht, dass das Schulsystem innerhalb einer Woche fähig ist, eine Online-Variante für Schüler aus dem Boden zu stampfen. Respekt! Eltern, ob alleinerziehend oder als Paar, die tagtäglich ihren Nachwuchs mit neuen Ideen bespassen. Sie versuchen zu verhindern, dass sich Geschwister zerfleischen, weil sie sich nicht auf öffentlichen Spielplätzen aufhalten dürfen. Auch ihnen gebührt grosse Anerkennung. Am meisten bewundere ich aber all die Frauen und Männer, die trotz der Angst sich anzustecken noch immer jeden Tag zur Arbeit gehen. Alle aus dem Gesundheitsbereich sind zu würdigen, Verkäufer/innen die uns ermöglichen Lebensmittel einzukaufen. Letzen Sonntag war ich kurz im Migrolino. Als ich bezahlte, bedankte ich mich herzlich, dass sie für uns da ist. Die junge Frau errötete und meinte nur: „Das ist doch selbstverständlich, dass ist mein Job.“ Nachdem sie das Geld in der Kasse versorgte, desinfizierte sie sofort die Hände. Ich musste schmunzeln, war aber sehr erfreut zu sehen, wie selbstverständlich sie mit der neuen Situation umgeht. Ich bin allen dankbar, die noch immer zur Arbeit fahren und ihren Dienst erfüllen. Niemand hätte noch vor ein paar Wochen gedacht, dass es so schlimm kommen würde. «Ist ja nur in China, für uns kein Problem.» Jetzt steht es bei uns vor der Tür und bei einigen bereits dahinter. Als Sicherheitsbeauftragte in unserem Betrieb, war ich erstaunt, dass der Bundesrat und das BAG ziemlich spät den Ernst der Lage erkannte. Zumindest gegen aussen. Wir wissen ja nicht, welche Maschinerie bereits lief, als wir noch gedankenverloren in Gruppen zusammensassen und dieses Virus teilweise sogar verharmlosten. Schlimm ist, dass es sogar jetzt noch Menschen gibt, die glauben, dass dies ein taktischer Schachzug der Regierungen sei, um uns zu kontrollieren und zu beherrschen. Glauben, dass das Virus im Labor entstand und in Umlauf gebracht wurde. Den Gipfel finde ich, dass es unzählige Doktoren, Professoren, Virologen und weitere selbsternannte Spezialisten auf dieser Welt gibt, die unbedingt ihren Senf dazu geben müssen. Das Einzige was sie erreichen ist, die Menschen geraten in Panik. Ein WhatsApp erreicht mein Handy und erklärt mir: „Dieses Video musst du unbedingt ansehen. Das ist DER Experte überhaupt. Das kannst du wirklich glauben.“ Na gut. Ich höre eine Weile zu und stelle fest, dass oft grosser Humbug erzähl wird, dass es einem fast schlecht werden könnte. Wo es mir ebenfalls schlecht wird, ist bei der SRF Berichterstattung und Medienkonferenz um 14.00 Uhr. An diversen Tagen nehmen Fachleute und teilweise auch der Bundesrat Stellung oder informieren über Neuerungen. Nicht der Bundesrat oder die Fachleute, wie Herr Koch, bereiten meinem Magen Krämpfe. Es sind die Journalisten, und die von Ihnen im Anschluss gestellten Fragen. Wie an jenem Montag, als Alain Berset erklärte, dass der Bundesrat die Situation in der Schweiz als ausserordentliche Lage gemäss Epidemien Gesetz einstufe. Er erklärte wirklich ganz ruhig und ausführlich, was das für die Bevölkerung heisst. Sie kennen die Regeln, die muss ich hier nicht aufzählen. Die Mehrheit der Journalisten stellten aber Fragen, die von Alain Berset nur ein paar Minuten vorher genauestens erklärt wurden. Ich hörte geduldig zu, es hätte ja sein können, dass eine wirklich wichtige Frage gestellt wird. Ein Schlaumeier wollte wissen: «Was wollen sie denn machen, wenn sie eine Gruppe von Menschen sehen, die die vorgeschriebene Zahl übersteigt? Kommen sie mit einem Maschinengewehr und treiben die Leute auseinander?» Mir platzte der Kragen über so viel hanebüchenes Geschwafel. Noch immer verfolge ich die Medienkonferenzen, doch spätestens bei der zweiten überflüssigen Frage schalte ich den Fernseher aus.

Sie sehen, die Probleme verlagern sich. Mich jedenfalls bringt dieses Virus nicht zu Fall. Ich halte mich an die Vorgaben von social distancing. Wasche regelmässig die Hände und benutze Desinfektionsmittel. Für mein Wohl mache ich Übungen in der Wohnung. Draussen geniesse ich die Sonne bei einem Spaziergang in den Wald. Nur von weitem sehe ich reale Menschen in 3D.

Disziplin lerne ich von meiner Schreibfreundin, die sich als Rentnerin schon einige Jahre im Metier «Verbringe 24 Stunden mit dir allein und werde nicht zum Couch-Potato» auskennt.

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