Geblitzt. Gebüsst. Androhung.

Béatrice Stössel, 28.06.2019

Béatrice Stössel
Béatrice Stössel

 Geblitzt! Ich wurde von einem Blechpolizisten zum Fotomodell auserkoren. Normalerweise verdienen Models gutes Geld. In meinem Fall präsentiert sich die Sachlage folgendermassen:

So alle drei Monate muss ich durch eine Strasse fahren, die Ende Dezember 2018 zur 30 km/h Zone erklärt wurde. In den ersten Januartagen 2019 kurvte ich, in Unkenntnis der neuen Umstände, mit 48 km/h dort entlang. Und – es blitzte. Entsetzt schaute ich auf den Tacho, aber der zeigte an, dass ich tempomässig  unter der innerorts generell verlangten 50-iger Grenze lag. Da muss etwas schiefgelaufen sein. Ich war nicht zu schnell unterwegs. Doch kurz danach war die Markierung „30“ auf der Fahrbahn nicht zu übersehen. Das Schild auf drei Meter Höhe angebracht, hatte ich beim Einbiegen offensichtlich nicht wahrgenommen. Ich konzentrierte mich auf den Gegenverkehr.

Einige Zeit später wurde ich per Brief informiert, dass mich ein Richter verurteilen wird für dieses Vergehen, bei dem wohlverstanden niemand zu Schaden kam. Es dauerte. Ich hoffte schon, dass ein Beamter vielleicht meine Akte versehentlich in den Papierkorb und mich so aus dem Strafverfahren katapultiert hätte. Weit gefehlt. Das Gericht brummte mir eine Busse im Wert von DREI-HUNDERT-UND-SIEBZIG Schweizer Franken auf. Ich schluckte leer. Aber Strafe muss sein. Doch es kam noch dicker. Man sollte das Kleingedruckte ebenfalls lesen. Auf diese Busse wurden DREI-HUNDERT-UND-FÜNFZIG Schweizerfranken Schreibgebühr draufgeschlagen. Zudem wurde ich darüber aufgeklärt, dass ich mir in den kommenden zwei Jahren nicht den klitzekleinsten Fahrfehler leisten darf.  Ansonsten zieht man meinen Ausweis, genauer gesagt mich, für einige Zeit aus dem Autoverkehr. Für einen Dreizeiler ein stattliches Honorar, nicht wahr? Es ärgerte mich ausserordentlich mein Geld so sinnlos ausgegeben zu haben.

Weitere Wochen gingen ins Land. Eines sonnigen Morgens fischte ich einen Brief vom Strassenverkehrsamt aus dem Briefkasten. Was soll das, fragte ich mich? Die Jahresgebühr 2019 hatte ich pünktlich bezahlt. Ich erwartete keine Rechnung von dieser Adresse. Also riss ich den Brief noch im Treppenhaus auf und staunte nicht schlecht. Für die Androhung des Fahrausweisentzuges, also wiederum für zwei Sätze Standardtext, wurden mir weitere 250 CHF in Rechnung gestellt. Summa summarum kostet mich „das Flitzen“ 970 Franken, davon sechshundert allein für Schreibgebühren. Das ist modernes Raubrittertum!

Der Zufall will es, dass mir gleichentags ein Brief vom IKRK ins Haus flatterte. Darin aufgeführt waren Beispiele, wie mit kleinsten Summen grosse Hilfe geleistet werden kann. Mit 50 CHF – finanzieren Sie die Ausbildung einer Person und ihr Werkzeug. Es hätten also 12 Menschen geschult und obendrauf mit dem nötigen Werkzeug ausgerüstet werden können. Mit 100 CHF – finanzieren Sie zwei Monate lang die Ernährung einer Familie. Ein ganzes Jahr sorgloses Essen, hätte es für die 600 Franken Schreibgebühr gegeben. Mit 150 CHF – finanzieren Sie eine Solarleuchte für 17 Familien. 68 Familien hätten so Licht erhalten, gemäss IKRK.

 Ich frage mich deshalb: Wie wäre es, wenn sich alle sozialdenkenden Gutmenschen, die Verkehrsflussverhinderer und die nach Bern pilgernden Politiker stark machten, diesen unnötigen Schreibkram zu verhindern und sich ALLE Parteien gegen diesen bürokratischen Leerlauf wehren würden?

Wenn die Summe der erhobenen Schreibgebühren stattdessen an Hilfswerke flösse?

Wie viel Saatgut könnte man für sechshundert Franken für hungernde Familien kaufen? Oder wie viele, am Existenzminimum lebenden Senioren in der Schweiz auf diesem Weg unterstützen? Mein Budget strapazierte es zwar immer noch. Doch mein Herz hüpfte frohen Mutes, weil auf diesem Weg das Geld sinnvoll investiert wäre. So gelebtes Denken und Handeln hätte eine heilende Wirkung und erzielte eine unerwartete Wendung im Politikspektakel dieser Welt.

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