Ich bin okay

Renate Schwertel, 18.08.2022

Renate Schwertel
Renate Schwertel

Mein Sohn Dennis war 3 Jahre alt, als er mit einem einzigen Satz mein Weltbild ins Wanken brachte. Wir Eltern saßen auf dem Sofa und Dennis lief strahlen an uns vorbei, hatte den Schalk in den Augen und sprach: „Ich bin gut.“

Er sagte das mit so viel Freude, ohne jeden Anflug von Zweifel, mit so viel Selbstvertrauen und Spaß an sich selbst. Es ging ihm gar nicht darum, unsere Bestätigung zu bekommen, er wollte uns diese Tatsache einfach nur mitteilen und uns an seiner Freude teilhaben lassen.

Da saßen wir pädagogisch geschulten Eltern nun, sahen uns an und da war sie, unsere neue Aufgabe für die nächsten 15 Jahre. Wir waren uns einig, dass wir dieses wunderbare Selbstwertgefühl so gut wie möglich beschützen und auf uns selbst aufpassen wollen, damit wir es nicht zerstören.

Mir war der Begriff „Erziehung“ schon immer suspekt und unangenehm. Er hat für mich etwas von „geradeziehen“ oder „in eine Form ziehen“ und zwar in eine Form, die die Erzieher und die hinter ihnen stehenden Vorstellungen der jeweiligen Gesellschaft vorgeben.

Dieses Kind brauchte nicht „erzogen“ werden, es war gut so wie es war. Ich habe mich also nicht mehr von pädagogischen Konzepten inspirieren lassen, auch nicht von antiautoritären, wohl aber davon leiten lassen, dass es in jeder Gruppe, in jedem Zusammenleben Regeln geben muss. Diese Regeln kamen von uns Eltern und zunehmend in Absprache mit unserem Sohn. Und hin und wieder musste auch ein Stoppschild aufgestellt werden, war eine klare Ansage nötig. Wir haben, wie alle Eltern, natürlich auch Fehler gemacht. Aber niemals hatte ich Zweifel an Dennis‘: „Ich bin gut“, niemals die Vorstellung, ich sollte dieses Kind irgendwie besser machen, irgendwie an ihm rumziehen. Dennis hat mir mit seinen 3 Jahren den Weg gewiesen.

Ich frage mich oft, ob wir alle so sind in diesem Alter, so eins mit uns selbst, so einverstanden mit uns selbst und wann es beginnt, dass sich Unsicherheit und Selbstzweifel breit machen. Vielleicht, wenn sich unser Bewusstsein entwickelt und ausbreitet, wenn wir vom „Baum der Erkenntnis“ essen, komplex denken lernen und somit das Paradies verlassen müssen. In frühen Fotos meiner Kindheit habe ich geforscht, ob in meinem Gesicht, meiner Haltung auch so etwas zu finden ist, so ein spitzbübisches Leuchten und auf einem Foto habe ich es tatsächlich entdeckt.

Warum ändert sich das so schnell, welchen Einflüssen sind wir ausgesetzt? Ich denke, ein Elend ist die dauernde Bewertung und Benotung, denen wir als Kinder ausgesetzt sind. Dieses ewige Vergleichen, dieser ewige Wettbewerb. Davor konnte ich Dennis auch nicht beschützen, denn das ist allgegenwärtig und ich habe den Eindruck, es wird immer schlimmer. Von dem Einfluss der sozialen Medien wollen wir hier gar nicht reden, das kommt in den letzten Jahren noch erschwerend hinzu.

Wäre es nicht großartig, wir könnten auch im Erwachsenenleben fröhlich und selbstbewusst sagen: “Ich bin gut“ oder etwas ähnlich Positives und das dürften wir auch, es würde uns nicht schwerfallen, wäre nicht peinlich und es würde von unseren Mitmenschen nicht als großspurig oder arrogant bewertet werden. Es wäre eine schlichte Selbstverständlichkeit und der Ausdruck unseres Einverstandenseins mit uns selbst.

Dennis kann das übrigens als erwachsener Mann immer noch: „Ich bin gut in dem was ich mache.“ Da muss ich immer lächeln und erinnere mich an die Szene vor vielen Jahren, die mir so deutlich in Erinnerung geblieben ist und mein Denken und Handeln beeinflusst hat.

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