Ich bring die Schlange um

Béatrice Stössel, 25.10.2022

Béatrice Stössel
Béatrice Stössel

«Ich bring sie um!»

«Ich bringe diese Schlange um.»

Die Wut in ihrem Bauch kocht über, steigt in ihr auf, quilt aus ihrem Mund und sie kotzt. Schweiss tropft von ihrer Stirn. Die Haare verheddern sich im Bettgestell.

«Ja, gut, genau so», ruft der Regisseur aus der ersten Reihe im Parkett. «Genau so, will ich das heute Abend sehen, verstanden?» Ulla nickt, lässt sich wieder auf das Bett sinken.

«Los, weg da von der Bühne, wir müssen umbauen», ruft der Inspizient. Ratternd fährt die Kulisse runter für den ersten Akt. Der Boden tut sich auf und Ulla verschwindet samt Bett im Untergrund. Über ihr schliesst sich der Bühnenboden wieder. Es wird keine Sekunde Zeit vergeudet. In zwei Stunden ist Premiere.

Genau so, hallen die Worte des Regisseurs in ihren Ohren wieder. Genau so! Ich habe das nicht gespielt, mir ist kotzübel. Sie fährt mit dem Handrücken über die Stirn und wundert sich keine Sekunde darüber, wie viel Schminke darauf kleben bleibt. Im Bauch des Opernhauses geht es zu wie in einem Bienenhaus. Alle und alles ist auf den Beinen, jeder weiss was er zu tun hat. Einzig Ulla sitzt wie gelähmt immer noch auf dem Bett, dem Ort wo sie in drei Stunden sterben wird. Den Bühnentod der Heldin, in Mayers neuster Oper.

«Na Kindchen, was ist denn mit dir los?» Die Maskenbildnerin zieht Ulla vom Bett hoch. «Husch, husch, in die Garderobe. Wir haben noch einiges zu tun. Wobei, wenn ich dich so anschaue, viel Schminke braucht es nicht mehr. Du bist schon bleich wie eine Leiche. Sag mal geht es dir gut?»

«Das kann ich grad noch brauchen, solch aufmunternde Worte vor der Première», faucht Ulla und fährt kleinlauter fort: «Ich kann nicht spielen, ich schaff das nicht. Das vorhin in der Probe, das war echt.»

«Klar, war das echt. Und zwar echt gut, nein ausgezeichnet», versucht die Maskenbildnerin den jungen Star aufzumuntern. «Das ist immer so vor dem ersten grossen Auftritt, noch dazu unter der Regie von Maestro Mayer, da zitterten schon ganz andere viel mehr als du jetzt.»

Mit Tonic durchtränkter Watte, fährt sie über die gelbliche Haut, reibt stärker bei den Wangen, testet, ob sie etwas Röte ins Gesicht zaubern kann. Vergeblich. Das kann ja heiter werden, denkt sich die Maskenbildnerin. Diesen Tonus kenn ich. Wenn das bloss nicht stimmt …

«Ich muss kurz raus.» Ulla steht auf, schlurft zum Spint, zieht die Handtasche raus und verschwindet in Richtung Toilette. Man hört Undefiniertes und doch sprechen die Geräusche eine deutliche Sprache. Als sie die Garderobe wieder betritt, ist sie noch blasser.

«Er ist grün», flüstert sie.

«Grün? Wer ist grün?»

«Mein Schwangerschaftstest!»

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