Ich vermisse Dich sehr

Gaby Kratzer, 28.04.2019

Gaby Kratzer
Gaby Kratzer

Liebe Mutter, liebe Freundin

Ein Loblied auf deine Art und Weise, wie du mich während fünfzig Jahren begleitet hast. In den ersten elf nachhaltig und prägend. In den letzten vierzig, spürte ich beinahe täglich dein unbemerktes Zutun oder stillen Zuspruch. Unsere Seelen sind für immer verbunden. Du warst und bist nicht nur Mutter, du bist auf ewig meine beste Freundin. Bei dir kann ich alles abgeben, mich sein und dir meine innersten Gedanken und Gefühle anvertrauen. Einfach losplappern. Es ist nie zu laut oder zu leise, nie zu aggressiv oder zu lieb.  Ohne Wertung hörst du bei jeder Tages- und Nachtzeit zu und machst mir immer wieder Mut. Weitermachen. Nie stillstehen. Durchhalten. «Wer Ausdauer besitzt, ist fast schon am Ziel.», wusste schon Ernst R. Hauschka. Liebe Mutter, liebe Freundin du bist es, die mir immer wieder Kraft und Energie gibt. Für mich ist jeder Tag Muttertag.

Danke, dass du mich überhaupt geboren hast. Viel zu früh nistete ich mich ein. Es hätte, mit deinen damals 18 Jahren, auch mit einem induzierten Abort enden können. Leibesfrucht entfernen und «Schwupps» - weg wäre ich gewesen. Obwohl ich dein erster grosser Unfall war, hast du mich das nie spüren lassen. Schliesslich gab es wohl andere Schuldige, dass ich mich für 40 Wochen in deinem Uterus ausbreitete. Da muss ich gerade schmunzeln. Das habe ich dir gar nie erzählt: Als Kind glaubte ich tatsächlich, die Gebärmutter sei diejenige, die den Babys die ersten Kleidchen strickt.

In diesem Augenblick kommen mir lustige Momente in den Sinn. Einige weiss ich noch aus eigenen Erinnerungen, andere nur aus deinen Erzählungen. Ein Beispiel: Wir fuhren mit dem Auto an einem Waldstück vorbei. Das kleine Schild am Baum sah ich nur flüchtig und war überzeugt darauf zu lesen: «Hollwut-Gefahr». Folgende Antwort erhielt ich auf meine Frage, was denn dieses Hollwut sei: «Der Hollwut ist der, der beim Fenster reinkommt, sogar durch die Rollläden hindurch, wenn man das Licht nicht frühzeitig ausmacht und noch liest, anstatt zu schlafen.» Phantastisch Mama und pädagogisch so wertvoll. Irgendwann konnte ich dann ein gleiches Schild entdecken. Ich merkte, dass ich nur falsch gelesen hatte. Der Spuk war endgültig vorbei. Natürlich las ich trotz diesem «Hollwut» weiter im Bett – also unter der Decke mit Taschenlampe – wie alle anderen Leseratten auch. Ich konnte mir sowieso nicht vorstellen, dass dieser Troll mich je unter der Decke finden könnte. Hat er ja auch nicht …… bis jetzt.

Auch zum Thema Essen gibt es lustige Anekdoten. Ach, in Erinnerungen schwelgen tut so richtig gut. Deine Tomaten-Spaghetti waren sensationell. Bis heute habe ich nicht herausgefunden, wie du die Sauce gezaubert hattest. Ich erinnere mich nur: Als erstes kommt das Tomatenpüree in die Pfanne. Ich muss lachen, wie recht du hast - ein sehr «gschnäderfrässiges» Kind (auch bekannt als «heikel») war ich. Zu Gemüse (ausser im rohen Zustand) konntest du mich nie verführen. Einmal, sass ich doch tatsächlich vom Mittagstisch bis um fünf oder sechs Uhr abends vor zehn «Bowäärli» (Erbsen). Ob ich sie je gegessen hatte? Wahrscheinlich!

Einmal brachte ich das Fass wirklich fast zum Überlaufen. Ich fragte dich, ob du eine Kirschwähe anstatt Apfelwähe   backen könntest. Eines Tages stand am Mittag tatsächlich der gewünschte Kuchen auf dem Tisch. Ziemlich schnell verzog ich das Gesicht, als ich bemerkte, dass das nun unser Mittagessen sein sollte. Belehrend bemerkte ich nur: «Aber Mami, du weisst doch, dass ich nur Apfelwähe mag.» Es verschlug dir einen Moment die Sprache. Kopfschüttelnd legtest du mir ein Stück auf meinen Teller und unterrichtetest mich im Gegenzug gelassen: «Das hast DU so bestellt.» Da sass ich nun vor einem Stück Kirschwähe und mein Hunger war ziemlich schnell verflogen. Essverweigerung war angesagt. Beim Nachtessen stand der gleiche Teller, mit dem gleichen Stück Kuchen, wieder vor mir. Auch da zeigte ich dem zuckersüssen Kirschkuchen nur die kalte Schulter. ICH hatte KEINEN Hunger! Am nächsten Morgen stand doch dieser vermaledeite Teller erneut vor mir. Ich sollte in dieses Stück Kuchen beissen, um zu schmecken, wie lecker er war. Mein Magen war empört. Nur schon das Berühren meiner Lippen am Belag löste ein Würgegefühl aus. Schon damals war ich ein Sturkopf. Visuell machte der Kuchen nicht mehr viel her, so angebissen und ausgetrocknet. Zusammengefasst waren es 6 verpasste Mahlzeiten, da Kirschwähe auf meinem Menu stand. Übrigens, hatte ich nirgends etwas gebettelt oder stibitzt. Über die ganze Zeit ass ich absolut nichts. Das liess mein kleiner Rebell in mir nicht zu. Am dritten Tag durfte ich wieder deine Sanftmut spüren und es gab meine geliebten Spaghetti. Zwei übervolle Teller ass ich restlos auf. Gewiss, ich hatte Hunger.

Liebe Mutter, liebe Freundin wie hieltest du das nur aus? Diese Ruhe und diese Konsequenz waren bewundernswert.

Solche Geschichten gäbe es noch viele zu erzählen. Aber das bei anderer Gelegenheit.

Liebe Mutter, liebe Freundin. Wie schön, wäre das Realität und nicht nur Traum. Du meine Mutter und meine beste Freundin. Hätten wir miteinander die Kurve gekriegt? Wäre es für unsere Beziehung von Vorteil, dass nur 18 Jahre Differenz zwischen uns ist? Wie schön stelle ich mir das Gefühl von Verbundenheit, blindem Vertrauen vor, mit dir als Freundin. Mich fallenlassen und nicht immer stark sein müssen, weil du meine Mutter bist und mich beschützt.

Eines Tages – der wirklich grosse Unfall. Warum bist du nur so früh gegangen? Schon lange bist du mein Schutzengel.

Ich vermisse Dich sehr.

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