Im nächtlichen Meer der Stille

Dora Kostyal, 24.07.2019

Dora Kostyal
Dora Kostyal

Die Stadt glüht, weil seit Wochen unter einer Hitzeglocke. Diejenigen, die im Winter wegen der Kälte jammern, beklagen sich diesmal über die Wärme.

Am Wochenende ein Besuch auf dem Land mit Abendspaziergang am Samstag; ausgiebig und mit frischen Kirschen bereichert. Ein belebender Wind kommt auf und vertreibt die träge Verschwitztheit der letzten Tage. Er schmeichelt Körper und Seele.

Im kühlen Haus wartet das frisch gemachte, bequeme Bett. Nach einer Runde im Garten ist aber die Entscheidung klar: Ich möchte im Freien übernachten und verzichte aufs Bett.

So wird ein Nachtlager am Gartenboden improvisiert.

Der Sternenhimmel wölbt sich grosszügig und lichterreich über mich. Kleine Leuchtkäfer schwirren in alle Richtungen mit schlafenden, essenden, oder auf Bildschirme starrenden Menschen am Bord – Flugzeuge zu unbekannten Zielen.

Warm und beruhigend streichelt der Wind mein Gesicht, wie eine Mutter ihr Kind in den Schlaf. Er lullt mit seiner stetigen Wiederholung ein, von mir gleitet er weiter und raschelt leise in den Birkenblättern sein Gute-Nacht-Lied. Sonst ist es so ruhig, dass mich in diesem Meer der Stille nur das Rauschen in meinen Ohren umbrandet.

Wellenweise wird meine Nase von einem fliegenden Teppich des Heudufts der frisch gemähten Wiese von nebenan berührt. Süss, verheissungsvoll und reich, mit der Ganzheit des Sommers drin. 

In diesem Moment kann ich nachvollziehen, warum die Menschen, die lange Zeit ausschliesslich in der freien Natur übernachtet haben, sich nachher in geschlossenen Räumen schlaflos herumwälzen – womöglich noch in einem weichen Bett – um es sich schliesslich auf dem Boden bequem zu machen, oder wenn realisierbar, sogar wieder vom Haus nach aussen zu flüchten. Wo wieder (fast) alle Sinne am Sein beteiligt sind, auch während der Nachtruhe, die dadurch eine andere Qualität hat als sonst.

Weich versinke ich in den Tiefschlaf, um später gelegentlich durch das kleinste Streicheln des Windes, einen neuen Duft oder ein plötzlich ertönendes tierisches Geräusch kurz aus der Schlafpräsenz der Tiere und Urahnen aufzutauchen. Die Feststellung, dass keine Gefahr vorhanden ist, erfolgt schnell. Um so grösser ist die Geborgenheit des erneuten Versinkens ins Urvertrauen und Getragen-Werden oder ganz nüchtern formuliert, in die Müdigkeit und in das Verlangen des Körpers nach Erholung.

Durch den Verzicht auf die Routine (Gewohnheit und Zimmerkomfort) wird der Raum geöffnet und weitet sich ins Unendliche aus. Dadurch sind auch meine Sinne erweitert und empfänglich gestimmt für die magischen Botschaften der Nacht. So kann sie mir das ganze Spektrum ihrer sonst kaum wahrgenommenen Wesenszüge und deren Verwandlungen offenbaren: Vom urschwarzen, sternenbedeckten, geheimnisvoll Lauschenden durch ahnungsvoll Verheissenden, verträumt Wiegenden oder kurz Aufschreckenden bis hin zur halbbewussten Dämmerung, zum vorsichtig tastenden Erwachen und zur Gewissheit des sich neu ausbreitenden Tageslichts.

Was flüstert mir die Nacht als Nächstes zu?

Als die Sonne aus ihrer vorsichtig spähenden Position – in der sie nur flach die noch kleinen grünen Äpfel von unten beleuchtet – weiter aufsteigt, werden mein Haupt und mein Bewusstsein ins volle Licht getaucht.

Ich bin endgültig wach und stehe auf.                                                                                                                            

Im Haus rieseln feine Staubkörner im Morgenlicht. Wie wenn die Sterne der Nacht zur Erde sinken würden.

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