Julia Onken interviewt Zoe Jenny zum Buch "Natalie K.; Meine Geschichte beginnt in einem wunderbaren Dorf. Die Aufzeichnungen einer Kindsmörderin"

Julia Onken, 27.02.2017

Natalie ist nach der grauenhaften Tat bei der sie sich ja auch versucht hat selber umzubringen, der Justiz zugeführt worden. Im Gefängnis hat sie dann angefangen die Geschehnisse und was sie mit der KESB erlebt hatte aufzuschreiben. Ihre Eltern teilten mir mit, dass sie an einem Buch schreibe und möchte dass ich es lese. Daraufhin stellte ich einen Antrag sie im Gefängnis zu besuchen, doch der wurde von der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Kurz darauf im August hat sie sich dann umgebracht. Das Manuskript erhielt ich Monate später mit einem persönlichen Brief von Natalie in dem sie mich bittet ihr Buch zu veröffentlichen.

Nach dem was alles gesagt wurde und im Fall Flaach auch falsch dargestellt wurde fand ich es wichtig dass man auch ihrer Stimme Gehör schenkt.

Hast Du das Manuskript überarbeitet, damit es druckreif ist?

Nein, ich habe das handgeschriebene Manuskript nur transkripiert. Grammatikalische Fehler hat der Verlag noch korrigiert ausserdem haben wir entschieden alle Namen mit Initialen unkenntlich zu machen um den Persönlichkeitsschutz der Betroffenen Personen- zum Beispiel KESB Mitarbeiter -zu  gewährleisten.

Ich habe es gelesen und ich muss sagen, es hat mich derart aufgewühlt, dass ich immer wieder eine Pause einlegen musste. Du musstest Dich ja intensiv damit auseinandersetzen, wie ist es Dir damit gegangen?

Es ist mir auch so ergangen. Ich konnte das Manuskript nicht in einem Stück legen. Es hat Wochen gedauert. Ich hatte richtiggehend Angst vor dem was da drin steht.

Roger Schawinski versuchte in seiner Sendung mit Dir als Gast,  Natalie K. als nicht glaubwürdig hinzustellen. Was sagst Du dazu?

Ich denke dieser Versuch ging ins Leere. Eine Frau die aus Verzweiflung ihre Kinder und dann sich selber umbringt ist ein sehr ernstes Thema - es bietet keinerlei Plattform für oberflächliches Geplänkel oder sonstige Blödheiten.

Auch kritisierte er das Buch, das nur ihre Sicht der Dinge aufzeigt, während die Position des „armen Vaters“ überhaupt nicht zur Sprache käme. Wie siehst Du das?

Wenn man im Gefängnis sitzt ist man vollkommen auf sich zurückgeworfen. Das ist eine Extremsituation, auch in der Erfahrung der Einsamkeit.  Roger Schawinski zeig da einen Mangel an Vorstellungskraft und Empathiefähigkeit wenn er glaubt man könne in so einer Situation noch andere Personen um ihre Meinung bitten. Das Buch zeigt korrekterweise und naturgemäss Natalies Sicht und nichts anderes.

Die verantwortliche Justizministerin Jacqueline Fehr will im Fall Flaach keinerlei Fehler der Kesb-Behörde festgellt haben sondern im Gegenteil: die Behörde habe vorbildlich Arbeit geleistet – abgesehen von eventuell einigem ungünstigen Verlauf der Kommunikation.

Das Problem ist aber dass die Kommunikation in so einer Situation nun gerade der wichtigste und zentrale Teil ist. Ich denke die Eltern von Natalie haben sehr deutlich und immer wieder darauf hingewiesen dass die Kinder zu ihnen kommen können. Es gab kein einziges Argument, auch nicht von Behördenseite, warum dies nicht geschehen ist. Im Gegenteil die KESB hat mit allen Mitteln die Kommunikation nicht nur nicht gesucht sondern verhindert und zwar mit katastrophalen folgen. Und dass dann als geringfügig abzutun ist eigentlich ein Skandal. Für mich war die Pressekonferenz mit Frau Fehr absolut unglaubwürdig, ja ich habe mich für die Uneinensichtigkeit und die Unehrlichkeit geschämt, ganz  besonders gegenüber den Eltern die man auf unwürdigste und inakzteptable Weise abserviert hat.

Nun steht alles Schwarz auf Weiss. Jeder Schritt, jede Aktion der Kesb ist von Natalie K. nahtlos aufgezeichnet und dokumentiert ihre Verzweiflung, bis sie nur noch einen Ausweg sah, ihre Kinder und später auch sich selbst umzubringen. Das psychiatrische Gutachten attestiert, dass sie eine ziemlich gestörte Person gewesen sei. Wie beurteilst Du das?

Der Gutachter hat Natalie nachweislich nicht ein einziges mal gesehen oder mit ihr gesprochen. Ein Ferngutachten zu erstellen in einem so komplexen und schwierigen Fall der zudem noch von öffentlichem Interesse ist ist aus meiner Sicht ein Skandal. Mindestens so skandalös und unglaublich ist dass sich darüber aber gar niemand aufregt und es einfach hingenommen wird. In einem anderen Land – da bin ich mir sicher – hätte es ein Aufschrei gegeben und verschiedene Personen wären freiwillig zurückgetreten. Die Schweiz so schön sie ist- ist manchmal von einer sehr trügerischen Idylle.

Was möchtest Du mit dem Buch erreichen?

Ich hoffe dass es Personen in den zuständigen Machtstellen und Politiker dazu bringt darüber nachzudenken wie man in diesem Land mit schutzbedürftigen Menschen umgeht. Das Ziel wäre dass so etwas wie der Fall Flaach nie wieder geschieht. Das setzt aber ein Minimum an Reflexionsvermögen voraus und die Einsicht in diesem Fall katastrophale Fehler begangen zu haben.

 

Zoe Jenny, Herausgeberin
Natalie K.; 
Meine Geschichte beginnt in einem wunderbaren Dorf. Die Aufzeichnungen einer Kindsmörderin, Salis Verlag

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