Liebe Julia

Béatrice Stössel, 29.10.2019

Béatrice Stössel
Béatrice Stössel

Ich weigere mich, zu diesem Thema etwas zu schreiben. Im Oktober die Vulva und nun Lebensweisheiten? Als Älteste im Klub deiner Autorinnen kann ich auf einige Lernprozesse zurückgreifen. Soll ich diese jetzt in aller Öffentlichkeit breittreten? Sollen sich die interessierten Leserinnen und hoffentlich auch Leser, an den Pannen aus sieben Jahrzehnten weiden? Eines ist klar, klüger und weiser wurde ich meistens durch Fehler. Vielleicht beabsichtigst du mit meiner Beichte, die Jungen vor irgendwelchen Peinlichkeiten zu schützen? Nein, die haben ein Recht auf ihre eigenen Stolpersteine. Die wünsche ich ihnen ganz ohne Scham, höchstens mit einem Quäntchen Mitleid, wenn sie sich in den Fallstricken des Lebens verfangen. Heute wie damals nervt mich hingegen der spöttische Warnfinger der Alten (dabei bin ich jetzt selber alt): „Ich hab’s dir ja gleich gesagt!“ Wäre da eine helfende Hand nicht ermutigender?

Und erst die Fettnäpfchen – oh je, ich habe ein ganz besonderes Talent, mit Schwung und Anlauf in sie zu treten. Manchmal vibriert es förmlich in meinen Adern, wenn ich nur schon eines erahne und teilweise sind es sogar ganz ordentlich grosse Töpfe. Wie immer, warnt mich die innere Stimme: ACHTUNG, da lauert Gefahr! Und gleichzeitig der Lockruf: Probiere es doch einfach! Manchmal  trete ich bewusst in so einen leidigen fettigen Napf. Wohlwissend, dass ich alleine das ganze Fett abbekomme. Unvernunft und Vernunft vermischen sich immer bei solchen Spielchen.

Unvernünftig sein heisst für mich, dem Lustprinzip zu folgen. Und Lust? Über die Stränge schlagen, geniessen, lachen bis die Tränen kommen, zurücklehnen, die Pflichten «fast» an sich vorbeiziehen lassen und die Kür tanzen!

Jetzt kommt mir meine Mutter in den Sinn. Sie wollte noch so vieles unternehmen und immer, wenn ich sie dazu ermunterte, dieselbe Leier:  «Wenn die Wohnung geputzt ist, dann... Wenn die Kinder aus dem Haus sind, dann... Wenn es Sommer wird, dann...« Diese „Wenn-dann-Methode“ praktizierte sie so lange, bis sich „dann“ Dr. Alzheimer in ihrem Hirn einnistete und sie um die wunderschöne Kür betrog. Und so lehrte mich das Leben, es jetzt genau in diesem Augenblick mit allen Sinnen zu leben.

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