Gaby Kratzer, 30.06.2019
Lieber Daddy
Du bist einfach gegangen. Ohne ein Wort. Ohne Dich zu verabschieden.
Dreizehn Jahre ist es her und noch nie habe ich es laut ausgesprochen: Lieber Papa, ich bin Dir sehr dankbar, dass Du mich, nach dem Tod von Mama aufgenommen hast. Das ich bei Dir, in einer zwar sehr chaotischen aber dennoch meiner Welt, aufwachsen durfte. Ein elfjähriges Kind war von einer Sekunde auf die andere einfach mal da. Du hast mich nicht kurzerhand in ein Kinderheim gesteckt oder zu einem Verwandten von Mutter abgeschoben. Du hast Verantwortung übernommen. Gerade in den letzten Wochen habe ich zwei Verdingkinder kennengelernt und bin nun doppelt froh, dass ich nicht in so eine Anstalt musste. Du warst für mich da. Nicht immer physisch aber ich weiss, dass Du immer nur mein Bestes wolltest. Nach bestem Wissen und Gewissen versuchtest Du mich auf das Leben vorzubereiten. Auf Deine Art und Weise hast Du dies auch erfolgreich geschafft.
Anna Katharina, Susanne, Rita, Denise, Daniela, Beatrice, Ottilia, Marianne, Leila, Margrit halfen zeitweise mit. Und das sind nur zwei Handvoll an die ich mich ad hoc erinnere. Fünf davon waren sogar Deine Ehefrauen. Und alle wollten irgendwann doch wieder die Scheidung. Hat Dich das nie stutzig gemacht? Anfangs konnte ich mir das nicht erklären. Später fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Den Frauen wohl auch. Als Deine zweite Ehe ein halbes Jahr nach meiner Ankunft zerbrach, gab ich mir erst die Schuld daran. Ich wurde über die Jahre gescheiter und begriff das nicht ich der Auslöser war. Du hast Dich einfach zu oft selbst nicht an Werte gehalten, die Du mir vehement eingebläut hast. Ungeachtet dessen, sie sind bis heute verinnerlicht und ich lebe sie täglich.
Nicht lügen – gut, ein paar Notlügen mussten leider herhalten.
Nicht stehlen – dass ich Dir die goldenen 5erli für ein Bravo geklaut hatte, war sicher nicht optimal.
Treue und Ehrlichkeit – hier hattest Du höchstpersönlich Deine Schwierigkeiten. Ich hingegen bin eine sehr treue Seele geworden und werde diese Tugend auch weiterverfolgen.
Toleranz – die musstest Du an den Tag legen, als ich Dir mitteilte, dass ich mich in eine Frau verliebt hatte. Dir gegenüber mussten wir ja immer tolerant sein. Oder dachtest Du wirklich, dass es für Deine Frauen einfach war mit Deinem Lebenswandel? Viel rauchen, viel Alkohol, viele Frauen? Auch mal zwei gleichzeitig! Für mich war es nicht immer einfach, wenn Du mich zu den Frauen mitgenommen hast. Du hast mit mir ein Geheimnis geteilt, welches ich gar nicht wissen wollte. Immerhin – Du hast Dein Leben genossen. So denke und hoffe ich für Dich jedenfalls.
Ich weiss, Du hattest es nicht immer einfach in Deinem Leben. Auch Du warst ein Scheidungskind. Ehrliche Elternliebe war Dir verwehrt. Sehr früh warst Du auf Dich alleine gestellt. Das mit der Liebe….., die lerntest Du nie anzunehmen, geschweige zu zeigen. Mit materiellen Dingen wolltest Du dieses Manko kompensieren. Ich bin erstaunt, wie ich mir über die Jahre erarbeitet habe, Liebe zu zeigen. Es ist nicht so lange her, da war sogar eine Umarmung zu viel. Für mich ist die Liebe das höchste Gut im Leben. „Verschenkst du Liebe, findet sie dich wieder.“
Aber das Wichtigste, und das gebe ich Dir nun in den Himmel mit (hoffe für Dich, dass Du dort sein darfst): Eigenliebe. Erst wenn Du Dich selbst liebst, lernst zu lieben……dann kannst Du Liebe geben. Lieber Daddy….das mit der Selbstliebe musst Du fürs nächste Leben wirklich noch lernen. Dann klappt es auch mit den Frauen…..bzw. mit DER Frau an Deiner Seite.
Mich selbst zu lieben und zu akzeptieren, wie ich (halt) bin, ja, da arbeite ich täglich daran. Ich bin auf meinem Weg und habe viele HelferInnen die mich begleiten.
Übrigens……nächste Woche fliege ich alleine nach Spanien und besuche eine Schreibfreundin. Ich wäre sehr froh, wenn Du, und auch Mama, ein Auge auf mich werfen könntet. Nicht, dass ich dann schlussendlich auf einer anderen Insel lande als geplant. Ihr habt ja eine Menge Zeit…..oder sehe ich das falsch? Wahrscheinlich machen meine zwei Schutzengel Party ohne Ende bei dieser Hitze. Ok, ich kann Euch verstehen. Dann noch viel Vergnügen.
Ich grüsse Dich aus meinem tiefsten Herzen und wer weiss, vielleicht schreibe ich Dir ja wieder einmal.
Deine Gabriela