Maya Onken - Das Grossartige kann nicht artig sein

Maya Onken, 02.01.2021

Maya Onken
Maya Onken

«Das Grossartige kann nicht artig sein». Diese Graffito an einer Zürcher Hauswand ist ein Appell. Gerade jetzt, in dieser Zeit, wo alles heruntergefahren ist, scheint solch ein Spruch ein Hohn. Die Geschäfte haben nur noch winzige Zeitfenster, alles, was guttut wie Sport, Kultur ist geschlossen, liebevolle Begegnungen verboten. Die Leute werden in Angst und Panik versetzt, dass ein Fuss vor die Pforte gleich der persönliche Tot wird oder noch schlimmer, die Verschuldung anderer Beerdigungen. Die Menschen ziehen sich in sich zusammen, bleiben zu Hause, ihre Welt wird auf die Grösse eines Bierunterdeckels minimiert. Ihr Bewegungsradius wird von aussen eingeschränkt. Der Rest passiert von alleine. Der Geist passt sich an. Das muss er, sonst würde er in rasender Wut alle Regeln niederreissen, würde jeden Satz in der Presse hinterfragen und kluge Gegenfragen stellen, er würde rebellisch und unruhig und mürrisch und mutig und frech andere Dinge planen. Besser still werden, die innere Betriebstemperatur runterkühlen auf lauwarm, gerade lebensnotwendig. Das ist die Devise der meisten.

Das Grossartige kann nicht artig sein. Ja, entscheide dich. Willst du die Pandemie Zeit im Rückzug und Stille, in Askese und Zurückstufung erleben, als Opfer dieses Virus deine verlorenen Vorzüge beweinen und betrauern? Oder willst du was Grossartiges in dieser Zeit bauen? Versteh mich nicht falsch. Du sollst nicht nach Bern pilgern, Rebellionsfahnen hissen, böse Worte schreien und Feuer legen. Dieser Widerstand ist zwecklos. Die Bürger dieses Landes respektieren die Entscheidungen und Vorgaben. Dagegen habe ich nichts. Du sollst auch nicht heimlich in ein Fitness Center einbrechen und den Cross Trainer zu Tode fahren, während du deine Verwegenheit feierst.

Finde das Grossartige, was DU tun kannst. Und ja, das Grossartige kann wohl nicht artig sein. Vielleicht musst du sogar einen Schritt in die Grauzone wagen. Von diesen Grautönen gibt es genug. Wir sind das Land der schwammigen Regeln, die Nation der freundlichen Empfehlungen aus Angst vor rigorosen Ansätzen. Eine Demokratie ohne Durchschlagskraft. Eine harmonische Gesprächspolitik ohne Strafen und Drohungen. Eine Regierung mit freundlichen Gesten, die uns einladen an die Gemeinnützigkeit zu denken, bevor wir handeln.

Grossartig heisst also nicht, den Virus schneller verbreiten, indem wir heimlich viele Leute treffen. Und falls du das trotzdem tust, dann heisst grossartig die volle Konsequenzen des Handelns tragen! Mutig, klar, verantwortungsvoll.

Grossartig heisst, die inneren Lungen mit Luft füllen und das Leben fühlen. Wichtige Werte weiter leben. Die Selbstfürsorge pflegen, da wo die Dinge gestrichen wurden neue finden, damit die eigene Balance bestehen bleibt, anstatt zu jammern und zu Hause versauern.

Grossartig heisst, dass auch wenn der Körper artig wenig Auslauf hat, der Geist wie ein Adler in die Lüfte steigen kann und seine Kreise drehen. Walter Gropius sagt das deutlich: «Der Geist ist wie ein Fallschirm: er kann nur funktionieren, wenn er offen ist.» Von oben hat er gute Sicht auf das Weltgeschehen.

Denken ist Freiheit. Die kann dir niemand nehmen. Reden ist Freiheit. Das ist nicht verboten. Gutes tun ist weiterhin erlaubt. Unterstützung und Freundlichkeit verbreiten ist nicht verboten. Kreativ werden und schöpferisch Dinge gestalten kann mausallein geschehen. Ideen wachsen lassen, sich selbst suchen und begegnen ist virenfrei. Träume können landen. Es ist eine gute Zeit für Grossartiges.

Sei also grossartig! Und nicht artig. Und wenn du äusserlich artig bist, sei innerlich gross.

Datenschutzhinweis
Diese Webseite nutzt externe Komponenten, welche dazu genutzt werden können, Daten über Ihr Verhalten zu sammeln. Lesen Sie dazu mehr in unseren Datenschutzinformationen.
Notwendige Cookies werden immer geladen