Dies- und jenseits der Diskret-Linie

Meta Zweifel, 29.04.2020

Meta Zweifel
Meta Zweifel

Eines schönen Tages wurde vor den  Postbüro-Schaltern breite gelbe Streifen auf den Boden gemalt. Das Publikum wurde darauf hingewiesen, dass es sich um Diskret-Linien handle, an die man sich aus Rücksicht auf den geschäftlichen Kontakt zwischen dem Kunden und dem Schalterbeamten zu halten habe. Bald sorgten auch in der Bankfiliale Diskret-Linien für Distanz,  Kein Mensch hätte sich damals vorstellen können, dass es einmal zu einem Distanzgebot zwischen Mensch und Mensch, zu Homeoffice, Homechooling und der Quarantänisierung von älteren und  alten Menschen kommen würde.

Notgedrungen und vermutlich noch während einiger Zeit müssen wir Körperkontakt vermeiden und Distanz halten. Nun ja, in Einzelfällen wird der behördlich verordnete Abstand nicht als harter Zwang, sondern eher als Entlastung erlebt. Und die zwangsläufige Reduktion von gesellschaftlichen Verpflichtungen kann unter Umständen als erholsame Stressminderung empfunden werden. Aber mehrheitlich wirken sich die räumliche Distanz und der Verzicht auf ganz direkte und warmherzige  Zwischenmenschlichkeit schmerzlich aus.

Jede liebevolle Berührung teilt sich dem Organismus mit und wirkt sich nachweisbar heilsam aus.

Dies- und jenseits der von der Corona diktierten Grenzziehungen finden Entwicklungen statt, die – wenn wir  nicht rechtzeitig aufpassen – gefährliche Generationen-Gräben aufreissen könnten. Gewiss, es gibt die wunderbar kreative Hilfsbereitschaft von unzähligen jungen Menschen und viel dankbare und intelligente Reaktionen von alten Menschen.

Aber es sollte zu denken geben, wenn junge Jogger einen alten Einzelgänger auf seinem Spaziergang  anblaffen, er solle sich gefälligst vom Acker machen, zu Hause bleiben und nicht als Virenschleuder  andere Menschen gefährden. Und ebenso muss es zu denken geben, wenn eine alte Frau einer jungen Angestellten nrim eingang zum Einkaufscenter lauthals keifend mitteilt, dass sie ja nicht im Traum daran denke, sich mit einer Nummer in die Warteschlange zu stellen – und die ihr dann abschliessend  << die Corona an den Hals >>  wünscht. 

Übellaunige Junge, die womöglich das Gefühl haben, an all den Einschränkungen seien weitgehend << die Alten >>schuld  - und bösartige Alte, sie womöglich aus Angst vor Isolation und Erkrankung Gift und Galle speien... Man kann nur hoffen und beten, dass sowohl auf der medizinischen als auch auf der wirtschaftlichen Ebene möglichst bald eine Wende zum Besseren stattfindet. Und dass sich nicht zusätzlich ein Virus entwickelt, der einen Generationenkonflikt hervorruft und eine Distanz schafft, die  Menschen entzweit.

Wie sehr wünscht man sich, der weise Rat des allzeit klugen Johann Wolfgang Goethe sei lebenswirksamer als alle Trenn- und Diskret-Linien: << Wer sich nähert, den stosse nicht zurück und wer sich entfernt, den halte nicht fest, und wer wiederkommt, den nehme auf, als wenn er nicht weg gewesen wäre. >>


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