Meta Zweifel - Raus mit die Stühle - rin mit die Stühle

Meta Zweifel , 26.02.2021

Meta Zweifel
Meta Zweifel

"F" WIE FRÜHLUNG UND FRUST
Im Frühling hat man guter Laune zu sein, das gehört sich so.
Die Sonnenwärme tut gut, die Knospen an den Sträuchern,
Blütenpracht und das erste zarte Grün im Wald – all das ist immer neu Wunder und Freude. 

Und so beginnen denn viele Textbeiträge unweigerlich mit dem wunderschönen Eduard Mörike-Vers «Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte.» Psychiater und Psychotherapeuten nehmen allerdings eine ganz andere Stimmungslage wahr: Nicht wenige depressive Menschen erleben kein frohgemutes Frühlingserwachen, sondern sinken eher noch tiefer ab ins Dunkel der Depression. Wer schon einmal im Winter einen schweren Schicksalsschlag erlitten und vielleicht einen geliebten Menschen verloren hat, der weiss: Der Frühling danach kann schmerzhaft sein.

Das leuchtende Gold der Forsythien tut weh, über weissen Blütenschleiern liegt grauer Staub. Wer trauert, lebt im Frühling nicht auf – er muss ihn ganz einfach überleben.

Frühling unter dem grossen "C" wie Corona

Eines der herausragenden Gedichte von Erich Kästner heisst

«Atmosphärische Konflikte». «Die Bäume schielen nach dem Wetter», sie wissen nicht so recht, ob sie spriessen oder lieber noch vorsichtig zuwarten sollen: »Ob nun raus mit die Blätter/oder rin mit die Blätter», so unterhalten sie sich murmelnd im Berliner Jargon. 

Auch der Oberkellner im Restaurant befindet sich in einem Zwiespalt: «Raus mit die Stühle oder rin mit die Stühle?» Diese Szene im Kästner-Gedicht wirkt aktuell geradezu trübsinnig-hintersinnig, denkt man an die Gasthäuser und Cafés, deren materielle Existenz gefährdet ist und deren Angestellte ihren Job verloren haben. «Raus mit die Stühle oder rin mit die Stühle?» - ach ja…..

Dieses «Raus oder rin» Debakel begleitet uns in diesen Corona-Zeiten seit vielen Monaten und wird uns auch im Frühjahr 2021 umzingeln. Was soll wann und wenn ja in welchem Umfang erlaubt sein? Was lässt sich verantworten, wo ist aufgrund der Sachlage Verzicht und Restriktion die einzig verantwortbare Haltung? Laut erklingt der Chor der Besserwisser, der Kreuz-und Querdenker und all derer, die schon im Frühjahr 2020 alles ganz anders und viel viel besser gemacht, entschieden und dirigiert hätten.

Erich Kästner beendet sein Gedicht mit einem bezaubernden Dreiklang:

«Es ist schon warm, Wird es so bleiben?
Die Knospen springen im Galopp
Und auch das Herz will Blüten treiben.»

Freude wagen

In einer TV-Diskussionsrunde wurde – aber ja doch – über Corona, die Nebenfolgen und möglichen Spätfolgen der Pandemie gesprochen, Als eine junge Frau sagte «Ich bin eine gute Freudigerin», blicken alle anderen Diskussionsteilnehmer überrascht. Nicht nur, weil das Wort «Freudigerin» eine sprachliche Neuschöpfung darstellte, sondern weil da jemand den Mut hatte, an die Möglichkeiten der Kreativität, des Neudenkens und des Lebensmutes zu erinnern. 

Vermutlich spürten alle in der Runde, dass diese «Freudigerin» nicht an Realitätsflucht litt und nichts schönreden oder schönfärben wollte - sondern einfach nur an den Mut zum Lebensmut appellieren wollte. Man darf sich nichts vormachen oder vom Schaumbad der Frühlingsgefühle eine Regeneration erhoffen. Aber man sollte Freude wagen, wo immer sich dazu Gelegenheit bietet. Dann passt vielleicht unvermutet dieser Vers von Rilke: «Es heben die schwebenden Lerchen mit sich den Himmel empor, der unseren Schultern schwer war».

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