Meta Zweifel - Von Sünden losgekauft

Meta Zweifel, 28.01.2021

Meta Zweifel
Meta Zweifel

«Edel sei der Mensch…..
… hilfreich und gut», schrieb der grosse Goethe in einem Gedicht.

Seine Begründung: «Denn das allein unterscheidet ihn von allen Wesen, die wir kennen.» Der allwissende Mann würde sich heute vermutlich an der modernen naturwissenschaftlichen Forschung orientieren. Es ist erkannt worden, dass auch viele Tiere ein hilfreiches Gruppenverhalten kennen und auf emotionaler Ebene kommunizieren können, ja dass sogar Pflanzen in der Lage sind, miteinander Verbindungen aufzunehmen.

«Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.» «Edel» bedeutet wohl vor allem «anständig» und «verantwortungsbewusst.» Zu «hilfreich» liesse sich ein ganzer Wertekatalog aufstellen.

Für einen karitativen Zweck eine Spende ausrichten, sich auf der Ebene der Freundschaft oder Nachbarschaft mit Unterstützung und Beistand nützlich machen, sich auf spezifischen Bereichen für das Wohlergehen von Menschen einsetzen….. Selbst ein gutes Wort, ein bisschen Einfühlungsvermögen oder ein Lächeln können hilfreich sein. Aber wer ist ein «guter» Mensch?

Wie gut ist «gut»?

Der alte Spruch hat recht, wenn er sagt: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. «Ich habe es doch nur gut gemeint»: Ach ja, aber man hat vielleicht im verengten Tunnelblick nur die eigene Sicht wahrgenommen und sich nicht wirklich auf die Situation des Gegenübers eingelassen. Oder ist es nicht so, dass sich hinter der guten Absicht oder dem vermeintlich guten und von Weisheit und Lebenserfahrung nur so triefenden Ratschlag eine Manipulation verbirgt? Und man den Mitmenschen auf einen Weg zu zwingen versucht, dessen Ziel man auch für sich selbst im Auge hat? Unter dem Mantel der Selbstlosigkeit kann sich viel Eigennutz verstecken.

Ein Gutmensch muss kein guter Mensch sein.

Eine etwa 60jährige pensionierte Verwaltungsangestellte, nennen wir sie Barbara, organisiert und begleitet als verantwortliche Leiterin seit Jahren Ferienaufenthalte für körperbehinderte Menschen. «Ausflüge, anregende Besichtigungen oder kleine Abendunterhaltungen - das setzt frühzeitige Abklärungen, Planung und in vielen Situationen auch Improvisationstalent vvoraus. Das alles mache ich gern», berichtet Barbara. «Aber ungeduldig werde ich, wenn eine Helferin oder ein Helfer sich als Gutmensch gebärdet und den zu begleitenden Menschen nicht als Gast, sondern als einen ihrem Wohlwollen ausgelieferten Hilfsbedürftigen behandelt. Wenn ich sowas feststelle, kann ich recht ruppig werden.»

Mit dem Versuch, sich als einigermassen edler, hilfreicher und guter Mensch durchs Leben zu kämpfen, gehen immer wieder Rückschritten, Scheitern und Versagen einher. Der Gutmensch jedoch ist meist weitgehend frei von Selbstzweifeln und geht eher selten zum eigenen Denken und Handeln auf kritische Distanz.

Im Hintergrund lauert das Machtbedürfnis

Vor Zeiten wurde den Menschen gelehrt, dass sie sich mit Geldspenden und Wohltätigkeit von Sünden loskaufen und sich im Jenseits-Paradies einen guten Platz sichern könnten. Der religiöse Kontext ist weitgehend verschwunden. An seine Stelle ist das irdische Belohnungssystem getreten. Spendengrosszügigkeit ist häufig mit einer günstigen Gestaltung der Steuersituation gekoppelt, nicht selten auch mit einer gewinnversprechenden PR-Aktion und mehr oder minder geschickten Öffentlichkeitsarbeit.

Die sozialen Medien bieten all jenen ein breites Arbeitsfeld, die sich selbst als in der Wolle gefärbte Gutmenschen inszenieren wollen – als Heilsbringer und Reformer, die den Menschen zu Wohlstand, Frieden und Glück verhelfen. Unter dem Tarnanzug des Gutmenschen steckt ein grenzenloses und brandgefährliches Machtbedürfnis. Diese toxische Mixtur aus Gutmensch und Machtmensch kann eine grosse Faszination ausüben und Menschen begeistern. Vor allem Menschen, die hoffen, aus den Zwängen der bedeutungslosen Mittelmässigkeit oder gar der wirtschaftlichen Randständigkeit erlöst zu werden.

Der überaus kluge französische Philosoph Blaise Pascal schreibt in seiner Gedanken-Sammlung, es sei wichtig, Gutes zu tun und tun zu wollen. Aber sobald man sich bewusst mache, dass man Gutes getan habe und sich gleichsam selbst anerkennend auf die Schulter klopfe, habe das Gute an Qualität eingebüsst und seine Unschuld verloren.

«Edel sei der Mensch, hilfreich und gut»: Eine höchst anspruchsvolle Formel, Herr von Goethe!

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