Schreibblockade.

Monika Marti, 30.01.2020

Monika Marti
Monika Marti

Ich sitze am Tisch, ein unbeschriebenes Blatt Papier vor mir. Mein Bleistift wird von Daumen, Zeige- und Mittelfinger durch kreisende Bewegungen in Schwung gehalten. Wie ein Sägeblatt, das im Leerlauf dreht bevor es in ein Stück Holz eindringt und dieses mit einer Kerbe versieht. «Durch Schaden klug geworden …» Kein Bild, keine passende Geschichte findet den Weg in mein Bewusstsein. Der Stift verharrt über dem Schreibpapier und ich komme mir vor wie ein Huhn, das auf seinen Eiern sitzt und wartet, bis die Küken schlüpfen. Ich vertage meine Schreibstunde. Ohne Erfolg. Schreibblockade. Am übernächsten Tag werde ich ungehalten und frage mich, was der Grund sein könnte, dass mir nichts Brauchbares einfallen will. Bin ich als unklug einzustufen, weil sich keine Schadensgeschichte mit Lerneffekt vor meinem geistigen Auge zeigt?

Tage später. Ich lege mich aufs Sofa, schliesse meine Augen und tauche gedanklich in mein Kindesalter ein. Plötzlich zeigt sich ein Bild. Ich sehe die kleine Monika nach dem Verzehr des Abendbrots schweigsam am Tisch sitzen, die Beine unter dem Tisch angewinkelt, die Hände unter den Po geschoben. Wartend, dass ihr erlaubt wird, aufzustehen und das Geschirr in die Küche zu tragen. Ich forsche weiter, suche nach Augenblicken, in denen ich mutig war, etwas auszuprobieren. Nach Momenten, in denen ich ungestüm und kopflos ins Handeln gekommen bin und Schaden daraus entstanden ist. Alles denken und sich erinnern wollen bringt kein Resultat hervor. Dann, ein erhellender Gedanke. Ich sehe mich an meinen freien Nachmittagen in meinem Zimmer am Boden liegen. Mein Rücken flach auf dem Teppich, die Beine an die Wand gelehnt. Über meinem Gesicht halte ich ein Buch und vertiefe mich in die Abenteuer der fünf Freunde von Enid Blyton.

Mein Unterbewusstsein gerät in Schwung. Weitere Erinnerungen tauchen auf und bringen Farbe in meine bis anhin eintönige Gedankenwelt. Sonntagmorgen. Kindergottesdienst. Aufmerksames Zuhören und Schweigen. Ermahnung. Es ist der schmale Weg zu wählen, weil der Breite ins Verderben führt. Anschliessend gemeinsames Mittagessen mit allen Predigtbesuchern im grossen Saal. Nachmittag. Stillsitzen im Gottesdienst für Erwachsene. Ich versuche, möglichst keinen Mucks von mir zu geben. Eine alte Frau in der vorderen Bankreihe streckt mir unauffällig ihre Hand durch die Öffnung in der Banklehne zu. Auf der Handfläche liegt ein Pfefferminz-Bonbon. Dankbar greife ich nach der Süssigkeit, schiebe sie in den Mund und bewege sie so lange zwischen Zunge und Gaumen, bis sich die Zuckermasse aufgelöst hat. Ich versinke in Tagträume. Derweil auf dem Rednerpult für mich unverständliche Verse und Weisheiten verkündet werden, verwandle ich mich in eine Prinzessin, die allein im Park spaziert und von einem heranreitenden Prinzen auf den Schimmel gehievt und in sein Schloss entführt wird.

Sind in den Erinnerungsfetzen Mut und Keckheit zu finden? Neugierde und Lust, das Leben zu entdecken? Vertrauen, gehalten zu sein falls etwas schiefgehen sollte?

Ich wage zu behaupten, dass ich der Erfahrung «aus Schaden klug zu werden» beraubt worden bin. Durch Regeln und Strenge, dadurch, kein gewolltes Kind zu sein und der Erfahrung, geliebt zu werden, wenn ich brav und angepasst bin. Wie ein Vogel, dem die Flügel gestutzt wurden, verharrte ich so lange zusammengekauert am Boden, bis die Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung die Überhand gewann und die Furcht vor Eigenständigkeit von mir weichen liess. Seit der Entdeckung, dass ich meine Flügel ausbreiten kann, übe ich mich ab und an im Fliegen. Oft schaue ich Mäusebussard und Milan zu, wie sie in luftiger Höhe schwebend Kreise ziehen und dann blitzartig in die Tiefe stechen um auf den Feldern Nahrung zu erhaschen.

Freiheit auskosten und trotzdem erdverbunden bleiben.

Beschwingt – beflügelt – befreit.

Irgendwie scheint mir nun doch, als wäre ich durch Schaden klug geworden.

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