Nachruf - Ruth Jermann ist tot

Julia Onken, 25.03.2019

Nun ist Ruth Jermann endgültig von uns gegangen. Es war ein langer Weg, zunächst noch voll Hoffnung, die Krankheit zu überwinden. Sie kämpfte tapfer dagegen an. Doch umsonst.

Wir waren über mehrere Jahrzehnte freundschaftlich verbunden. Zunächst rein geschäftlicher Art und projektgebunden, allmählich erwuchs daraus eine Freundschaft, und zwar eine, die durch dick und dünn hielt. Ruth Jermann war bis zu ihrer Pensionierung stellvertretende Direktorin des Fachverbandes SVEB und hat wesentlich zur Entwicklung beigetragen. Ihr Projekt, das ihr ebenfalls am Herzen lag, war die jährliche Durchführung des nationalen Lernfestivals, das sie mit ihrer beinahe unerschöpflichen Kreativität zum Erfolg führte. Zudem hat Ruth Jermann die Schweiz in zahlreichen internationalen Projekten vertreten und sich immer auch dafür eingesetzt, dass die Weiterbildung in der Schweiz über den eigenen Tellerrand hinausblickt.

Nach ihrer Pensionierung hatte sie wieder Pläne und interessierte sich bereits wieder für Projekte. Zudem erfreute sie sich an Ihrem Hund Mäx, der mit seinem Katzengspänli Cooper ein perfektes Team abgab. Stundenlange Spaziergänge im Wald oder am See bei Wind und Wetter gehörten zum selbstverständlichen Tagesablauf, und sie erfreute sich bester Gesundheit. Die Diagnose «Brustkrebs» kam aus heiterem Himmel, doch wie könnte es anders sein – Ruth war davon überzeugt, die Krankheit zu überwinden. Die ersten Behandlungen sowie der operative Eingriff überstand sie mit Bravour, beinahe heiter, aber vor allem sehr zuversichtlich. Danach ging es ihr gut, nein, mehr noch – sehr gut. Und wir alle dachten nun, sie habe es geschafft. Nach kurzer Zeit kam ein erster Rückschlag. Obwohl die Prognosen schlecht standen, folgten weitere Behandlungen. Ruth war bereit, der Statistik zu trotzen, sie war davon überzeugt, den Beweis zu erbringen, dass die Berechnungen falsch liegen.

Mir war es stets wund ums Herz, und mit Besorgnis erlebte ich die nachfolgende Zeit. Noch vor Weihnachten sagte ich ihr, wenn sie mit jemandem über die Zeit nach dem Tod reden wolle, würde ich das gerne machen. Sie schaute mich ziemlich entsetzt an und sagte – ganz Ruth, wie sie war: «Sag mal, spinnst Du eigentlich? Ich will sicher nicht über den Tod reden!» Ich nahm ihre Worte zur Kenntnis und hoffte, dass es nicht soweit kommen wird. Nach Weihnachten ging es ihr immer schlechter, und sie musste hospitalisiert werden. Sie war immer noch voller Hoffnung, rechnete damit, dass es sich nur um eine vorübergehende Schwäche handelte. Doch dann, plötzlich, schrieb sie mir eine SMS: «Jetzt musst Du bitte kommen.» Ich wusste, was das zu bedeuten hatte. Und als ich kam, sagte sie mir, sie habe ihren Glauben verloren und ich solle ihr helfen. Ich hielt ihre Hand, streichelte ihr Gesicht und sagte ihr, dass sie in der grossen Hand Gottes aufgehoben sei und sie niemals aus ihr herausfallen könne. «Sag es mir nochmals», bat sie mich. Und ich sagte es noch einige Male. Kaum war ich wieder zu Hause, schrieb sie mir wieder eine SMS mit der Bitte, ich solle ihr nochmals alles von der grossen Hand aufschreiben, damit sie es immer wieder lesen könne.

Als ich sie wieder besuchte, war sie noch schwächer geworden, sie konnte nur noch flüstern, und wir mussten ganz nah zueinander rücken. Dann haben wir miteinander den Text von Hilde Domin gesprochen, ich sagte ihn ihr vor, sie versuchte, ihn zu wiederholen:

Auf Wolkenbürgschaft

ich habe Heimweh nach einem Land
in dem ich niemals war,
wo alle Bäume und Blumen
mich kennen,
in das ich niemals geh,
doch wo sich die Wolken
meiner genau erinnern,
ein Fremder, der sich
in keinem Zuhause
ausweinen kann.

Ich fahre nach Inseln ohne Hafen,
ich werfe die Schlüssel ins Meer
gleich bei der Ausfahrt.
Ich komme nirgends an.
Mein Segel ist wie ein Spinnweb im Wind,
aber es reisst nicht.
Und jenseits des Horizonts,
wo die grossen Vögel
am Ende ihres Flugs
die Schwingen in der Sonne trocknen,
liegt ein Erdteil
wo sie mich aufnehmen müssen,
ohne Pass,
auf Wolkenbürgschaft.

Sie hatte sich mit dem Gedanken an den Tod angefreundet, begrub die Hoffnung auf eine Genesung. Aber sie hatte noch einen Wunsch: Sie wollte Zuhause sterben. Philip, ihr Sohn, der sie hingebungsvoll durch die Zeit der Krankheit begleitete, erfüllte ihr den letzten Wunsch. So konnte sie die letzten Tage in ihrer geliebten Umgebung verbringen, begleitet von Philip und ihrem grossen Freundeskreis, von Mäx, der bei einer Freundin von Ruth untergebracht war und regelmässig zu Besuch kam und auch von Cooper, der Katze, die sich immer wieder nestelnd in ihrer Nähe bemerkbar machte.

Sie starb im Kreise von Menschen, die sie liebten und denen sie stets von Herzen zugetan war. Sie war eine tapfere Frau, mutig und heiter, zupackend, und am Ende konnte sie in Frieden loslassen. 

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