Noch trotz ich der Versuchung

Béatrice Stössel, 08.07.2021

Béatrice Stössel
Béatrice Stössel

Meine Anfälle häufen sich! Sie befallen mich in letzter Zeit in einem Mass, welches mich ernsthaft beunruhigt. Mit dieser Intensität und langen Dauer habe ich nicht gerechnet. Normalerweise liegen acht bis zehn Tage dazwischen. Jetzt suchen sie mich täglich heim.

Nein, machen Sie sich keine Sorgen, gesundheitlich geht es mir nach wie vor gut, mal abgesehen von ein paar Zipperlein, die einen als „Teenager Spätlese“ so plagen. Insider in meinem Umfeld wissen, spreche ich von „Anfällen“, so handelt es sich um Putzwut oder Entrümpelungsaktionen.

Dabei beginnt alles ganz harmlos. Auslöser ist die Tatsache, dass ich einen Schraubenzieher brauche. Trotz der vielen Exemplare die sich in meiner Werkzeugkiste tummeln, scheint die richtige Grösse nicht vorhanden zu sein. Alles Werkzeug liegt kreuz und quer, Schrauben und Dübel teilen sich dasselbe Fach, dafür ist das daneben leer. Bei dieser Sauordnung kann man ja nichts finden! 

Also beginne ich auszuräumen, klein zu klein und gross zu gross. Drei verschiedene Hämmer erblicken das Tageslicht. Zwei Metermasse, Stanley-Knifes, Beiss- und Flachzangen ebenso wie Schmirgelpapier. Nimbusschlüssel in sechs Varianten, nur die Grösse die ich brauche, glänzt durch Nichtvorhandensein. Ich verschaffe mir einen Überblick. Die Auslegeordnung ist umfangreich. Die Kiste füllt sich nach gründlicher Reinigung wieder. Fein säuberlich ist alles einsortiert. Ich bin enorm stolz. Aber eigentlich brauche ich nur einen Hammer und den Nagel, den es in die Garagenwand einzuschlagen gilt. Mit Werkzeug bewaffnet gehts runter.

Im Untergrund angelangt, schlägt mir ein besonderer Duft entgegen. Pinselreiniger und der Geruch frischer Farbe stechen in die Nase. Mein Nachbar zur linken ist gerade dabei mit Betonfarbe den Garagenboden zu streichen. „Wow, sieht das gut aus“, findet die Nachbarin zu meiner rechten. „Ich mache das auch“, beschliesst sie kurzerhand. Anderntags pinselt und rollt auch sie Farbe an die Wände und über den Boden. Etwas neidisch kiebitze ich mal nach links, mal nach rechts und erkenne, dass es sich lohnt. 

Noch trotze ich der Versuchung es ihnen sofort gleich zu tun. Doch irgend ein „Anfangsvirus“ befällt mich. Ich beginne zu räumen. Blumentöpfe, Plastikmüll, Flaschen, Zeitungsstapel und jede Menge Karton lade ich in meinen Wagen und fahre zur Entsorgung. Jetzt herrscht Ordnung im Werkzeugkasten und der Garage (der Boden wird in den Sommerferien gestrichen. Der Enkel hilft mit).

Wieder zurück in meinem „Büro“, ärgere ich mich erneut über das Ungetüm von Drucker/Fotokopierer, welches sich nur schlecht hinter dem PC-Bildschirm verstecken lässt. Wenn dieser Koloss Platz im Schrank fände ...! Das Metermass zeigt, ja da lässt sich etwas machen. Und so räume ich um, entsorge einmal mehr diverses Sammelsurium und jetzt stehe ich vor einem sehr gut organisierten Schrank. Ich gehe sogar so weit, dass ich die Türen offen lasse, weil ich so stolz bin, wie schmuck das alles aussieht. Und auf dem Pult steht eine Orchidee und verwöhnt mein Auge, wenn ich beim Schreiben, zwischen den Zeilen, aus dem Fenster schaue.

Und so geht es im Moment Tag für Tag weiter. Ein „Anfall“ löst den nächsten ab. Wie herrlich ist es doch, sich von altem Mist zu trennen. Plötzlich habe ich Platz in Hülle und Fülle in den Schränken. Was allerdings die Gefahr in sich birgt, dass ich Neues erwerbe. 

Doch ich nehme mir ganz fest vor, bei jedem Zucken in den Fingern, wenn ich etwas „Entzückendes“ in die Hände bekomme, mich ernsthaft und mehrfach zu fragen, ob es wirklich notwendig ist, erneut „Entzückendes“ nach Hause zu tragen. Doch wie heisst es: Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach. Aber dieses Mal bestimmt nicht...! Hoffentlich nicht!

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