Petra Lienhard - Es ruft das Glöcklein

Petra Lienhard , 29.05.2020

Petra Lienhard
Petra Lienhard

Seit mehreren Wochen schon sitzen die Risikogruppen in der eigenen Wohnung fest. Ich gehöre zu den Ü65 mit meinen 72 Lenzen. Das Spiel mit der Angst funktioniert in der Gesellschaft sehr gut. Vor dem Corona-Virus selbst fürchte ich mich nicht, vor den getroffenen Schutzmassnahmen schon. Alleine zu leben ist das Eine, aber ohne freundschaftlichen Händedruck oder eine liebevolle Umarmung auskommen zu müssen ist bitter. Diese grossen Kleinigkeiten vermisse ich immens. Augenblicklich fühle ich mich diskriminiert, bevormundet und weggesperrt. Seit ich allein lebe stelle ich fest, es sind die selbstverständlichen Gesten, die meinen Alltag mit lieblicher Farbe erhellen. Ohne sie erscheint mir jeder neue Tag noch einsamer und fader. Doch werfen wir einen Blick auf den Anfang der noch nie dagewesenen Krise im März 2020.

Egal aus welchem Fenster ich schaue, zu sehen gibt es nichts. Weder spielende Kinder, noch Ausflügler mit dem Velo oder zu Fuss beleben das Bild. Selbst am Sonntagmorgen bleibt die Strasse leer. Da kann das Glöckchen unserer kleinen Kirche noch so bittend läuten, niemand folgt ihrem Ruf.Den Stillstand im Hinterthurgau erlebe ich hautnah. Diese Abgeschiedenheit erdrückt mich. Dennoch strahlt die Sonne erhaben vom blauen Himmel. Ich höre die Vögel laut zwitschern, ohne Unterbrechung durch Flugzeuge oder andere Motoren. Mir erscheint sogar das wolkenlose Firmament klarer und das nächtliche Sternenzelt funkelt reicher bestückt. Unvermittelt muss ich an meine Mutter denken. Sie erzählte mir oft von den Tagen vor dem zweiten Weltkrieg. Genau wie jetzt präsentierte sich damals die Natur von ihrer schönsten Seite. Niemand war wirklich vorbereitet auf die kommende, so lange dauernde, grausame Zeit. Ich bin ein Nachkriegskind. Aufgewachsen während des Wirtschaftswunders und interessiere mich seit je her für dieses Trauma der Deutschen.

Der heutige Krieg gegen Viren hat dieselben Vorzeichen.Erzwingt die Menschheit über alle Grenzen hinweg in die Knie. Wieder werden Familien getrennt. Die Wirtschaft liegt am Boden. Die Aktien stürzen ins bodenlose. Werden wir die Schulden, welche durch den Lockout entstanden sind, jemals wieder los? Oder brauchen wir eine Währungsreform, wie in Deutschland vor 75 Jahren?

 Das augenblickliche Motto «bleiben sie zuhause!» schreit, je länger es dauert nach Auflösung. «Wann hört das Gefangensein in der eigenen Wohnung endlich auf?» Besonders die «Seniorinnen und Senioren» warten sehnsüchtig darauf wieder am Leben teilnehmen zu dürfen.

Doch was geschieht, wenn der Ausnahmezustand vorüber ist? Ganz sicher wird nichts mehr sein wie vor der Pandemie. Ich wünsche mir, dass ein Umdenken stattfindet und nicht am Ende die Rückkehr zu sinnlosem Aufbrauchen der Ressourcen auf unserem Planeten oder übermässiger Konsum weitergeht als wäre nichts geschehen. Zum Glück gehöre ich zu den Optimisten. Mein Gottvertrauen sagt mir: «Ein Fenster ist zugegangen aber ein anderes wird sich öffnen, selbst wenn es nur ein kleines ist!»

 

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