Petra Sewing-Mestre - Schlecht oder irgendetwas dazwischen

Petra Sewing-Mestre, 28.01.2021

Petra Sewing-Mestre
Petra Sewing-Mestre

Höre ich das Wort «Gutmenschen», macht sich sofort ein deutliches Unbehagen in mir bemerkbar. Komisch eigentlich, handelt es sich dabei doch lediglich um eine zusammengesetzte Kurzform aus zwei schönen Wörtern der deutschen Sprache: «Guter Mensch».

Oder steckt doch mehr hinter dem Begriff «Gutmensch»? Mein Sprachgefühl sagte mir, dass es sich lohne, hier einmal genauer hinzuschauen. War es nicht eigentlich immer ein Kompliment, als «guter Mensch» bezeichnet zu werden, ist doch eigentlich das Gegenteil eines schlechten Menschen? Automatisch musste ich an den «Frauenversteher» denken – eigentlich ebenfalls ein positiver Ausdruck. Gibt es hier vielleicht Parallelen? Hat sich die Bedeutung heimlich geändert oder sogar ganz ins Gegenteil verkehrt? Jemand, der Frauen versteht, kann sich doch eigentlich freuen, wenn er auch so bezeichnet wird. 

Die meisten Männer, denen diese Bezeichnung zugedacht wird, freuen sich aber gar nicht. Und wie ist es mit «Warmduscher»? Ich erinnerte mich daran, dass dieses Wort sogar in meinem Bekanntenkreis schon einmal zu einem handfesten Streit geführt hatte. Ich musste dem Geheimnis dieser neu aufgetauchten Hauptwörter (sprachwissenschaftlich «Komposita») und ihrer beunruhigenden Wirkung unbedingt auf den Grund gehen!

Meine erste Recherche führte mich zu Wikipedia: «Gutmensch ist eine Bezeichnung, die häufig als ironisch oder verachtend gemeinte Verunglimpfung ... genutzt wird.» Den so Bezeichneten werde «aus der Sicht der Wortverwender ein übertriebener, äussere Anerkennung heischender Wunsch des «Gut-sein»-Wollens in Verbindung mit einem moralisierenden und missionierenden Verhalten... unterstellt. In der politischen Rhetorik wird «Gutmensch» als Kampfbegriff verwendet.»

Aha, da hatte ich es: Aus den ehemals vollkommen harmlosen deutschen Wörtern ist nun ein politischer und gesellschaftlicher Begriff höchster Brisanz geworden. Ein Blick in die deutsche Wortbibel, den Duden, bestätigt meine Vermutung. Der Duden, der den Begriff im Jahr 2000 aufnahm, definiert «Gutmensch» als «naiver Mensch, der sich in einer als unkritisch, übertrieben, nervtötend o. ä. empfundenen Weise im Sinne der Political Correctness verhält». Beim Begriff «Political Correctness» bemerke ich, wie ein leichtes Unwohlsein meinen Rücken entlangläuft und sich die Rückenhaare aufstellen. Für zu viele fragwürdige Vorkommnisse in Gesellschaft und Politik muss dieser Begriff inzwischen herhalten!

Ich beschliesse, die politische Berichterstattung in den Medien intensiver zu verfolgen und dabei besonders auf den Verwendungsbereich des «Gutmenschen» zu achten. Schnell werde ich fündig und sehe, dass «Gutmensch» eigentlich im gesamten politischen Spektrum verwendet wird, sowohl von links als auch von rechts. Gemeinsam ist den Benutzern jedoch immer, dass das Gegenüber auf ironische, unterschwellige Weise diskreditiert werden soll. Bei Verwendung dieses Begriffes verlässt das jeweilige Gespräch den sachlichen Bereich und verlagert sich auf eine persönliche und emotionale Ebene, die inhaltliche Auseinandersetzung wird nicht mehr weitergeführt. Soweit meine Beobachtungen.

Warum ist das so? Warum kann ein Wort, das sich aus zwei Teilen mit offensichtlich positiver Wortbedeutung zusammensetzt, eine solche Wirkung haben, die die Bedeutung des Ganzen plötzlich ins Gegenteil kippen lässt? Natürlich hat Sprache in erster Linie etwas mit dem zu tun, der sie benutzt, also mit den Sprechern. Mit anderen Worten: Jeder redet nur von sich selbst, von dem was er ist und was er kennt – und nur aus seiner Perspektive. Was ist also mit den «Gutmenschen» geschehen?

Ist für die Gutmenschen «gut» gar nicht mehr «gut»? Und wenn dem so ist, was ist es dann? Schlecht oder irgendetwas dazwischen oder etwas ganz Anderes? Verwirrung auf ganzer Linie! Fast habe ich den Eindruck, die Werte stehen auf dem Kopf. Geht es nur mir so oder sind andere auch davon betroffen? Wenn ich die öffentliche Diskussion über politische Themen insbesondere im letzten Jahr verfolge, habe ich schon oft den Eindruck, dass sich Werte ins Gegenteil verkehrt haben. Auch das Wort «Querdenker» ist plötzlich zum Schimpfwort mutiert, war es vor einigen Jahren noch in vielen Stellenangeboten auf Kaderebene als Top-Charaktermerkmal ausdrücklich von den Stellenbewerbern erwünscht.

Was ist nun mit den Menschen, wenn sich Werte, an die man sich immer orientieren konnte, plötzlich ins Gegenteil verkehren und nicht mehr gelten? Weiss man dann noch, woran man glauben soll, wovon man überzeugt sein (darf) und was wichtig ist? Ich habe das Gefühl, dass sich in unserer Gesellschaft eine starke Verunsicherung breit gemacht hat. Diese Unsicherheit spaltet die Gesellschaft und eigentlich sogar das ganze Land. Das macht den Menschen Angst. Zuerst geraten die Werte ins Wanken und dann die Menschen. Viele geraten nicht nur ins Wanken, sie sind sogar schon gefallen. Wir müssen gut achtgeben: Denn wenn das ganze Land ins Wanken gerät, dann stolpern letzten Endes sogar die Gutmenschen.

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