Prof. Dr. med. Reto Stocker - Covid 19 - Impfen oder nicht?

Prof. Dr. med. Reto Stocker, 07.01.2021

Prof. Dr. med. Reto Stocker
Prof. Dr. med. Reto Stocker

 Prof. Dr. med. Reto Stocker, Facharzt Anästhesiologie und Intensivmedizin, Institutsleiter, Klinik Hirslanden, Zürich

Impfungen sind generell den grössten Errungenschaften der modernen Medizin zuzurechnen und haben weltweit unzählige Todesfälle, unzähliges Leiden und unzählige schwere Behinderungen verhindert. Einzelne, vorher extrem bedrohliche Erkrankungen (z.B. Pocken) konnten mit Impfungen praktisch ausgerottet werden. Gilt das in der gegenwärtigen Corona-Pandemie auch?

Trotz aller Dissonanzen bezüglich Einordnung der Corona-Pandemie zwischen Wissenschaft, Politik, Ämtern und selbstberufenen und echten Experten bleiben einige wesentliche Tatsachen, die nicht mehr weiter zu hinterfragen sind. Dazu gehören:

1. Die Pandemie existiert. Seit Beginn der Pandemie haben sich in der Schweiz rund 420'000 Menschen mit dem Virus angesteckt. Weltweit sind es rund 86 Millionen

2. Einer von 25 Menschen in der Schweiz, die sich infiziert haben, werden spitalbedürftig; das sind seit Ausbruch der Pandemie bis jetzt mehr als 18’000

3. Für einen Teil der Erkrankten, vorwiegend, aber eben nicht nur in höheren Altersklassen ist die Infektion sehr gefährlich. Aktuell befinden sich rund 500 Patienten auf einer Intensivstation und belegen damit fast 60% aller in der Schweiz verfügbaren Intensivbetten, was bereits jetzt zu einer Bedrohung der Aufnahmemöglichkeiten von weiteren Covid-19 Erkrankten und zusätzlich – und sehr wichtig - anderen intensivpflichtigen Patienten geworden ist. Die Aufenthaltsdauer der einzelnen Patienten ist lang (zwischen ein paar Tagen bis zu 2 Monaten)

4. Für einen Teil der Erkrankten ist die Infektion tödlich. Bis Ende 2020 sind in der Schweiz knapp 6500 Menschen mit einer Covid-19 Erkrankung verstorben. Das sind etwa dreimal so viel Todesfälle, wie die in Folge einer sehr schweren Grippeepidemie. Einer von 4 Patienten auf der Intensivstation verstirbt an den Folgen dieser Erkrankung. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 sind auf allen Schweizer Intensivstationen circa 5% der Patienten verstorben – also nur einer von 20 Patienten. Weltweit sind bis jetzt rund 1.9 Millionen Todesfälle von Patienten mit Covid-19 Infektionen zu verzeichnen.

5. Die grossen Einschränkungen im täglichen Leben, der sozialen Interaktion und die wirtschaftlichen Folgen sind für die meisten Einwohner in der Schweiz nur zu gut spürbar und brauchen wohl keine weiteren Erklärungen

6. Das Problem ist aktuell noch bei weitem nicht gelöst

Auf Basis dieser Fakten gibt es eigentlich fast nur gute Gründe, sich impfen zu lassen. Zum Ersten schützt man sich damit mit hoher Wahrscheinlichkeit (über 90%) gegen eine schwerere Erkrankung und das Risiko für eine Infektion bzw. eine Übertragung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls gesenkt. Wenn man trotzdem infiziert würde, würde die Krankheit wahrscheinlich milder verlaufen. Zum Zweiten müssen 50-60% der Einwohner gegen das Virus immunisiert sein, damit das Virus aus unserem Alltag verschwindet. Damit ist die Impfung nicht nur für uns selbst, sondern auch für die Bewohner dieses Landes und zur Verhinderung eines Katastrophenszenarios im Gesundheitswesen sinnvoll.

Natürlich wissen wir einiges nicht. Wir wissen nicht genau, wie lange die Impfung schützt. Wir wissen nicht genau, ob der Impfschutz gegen mutierte Coronavarianten genauso gut ist wie gegen das ursprüngliche Virus. Nur – weil wir einiges nicht wissen, einfach nichts zu tun, ist keine gute Strategie. Dies insbesondere auch angesichts dessen, dass die Impfung – vor allem auch im Verhältnis zur Gefährlichkeit einer Covid-19 Erkrankung - ein sehr geringes Nebenwirkungspotential hat und damit auch Patienten angeboten werden kann, die in fortgeschrittenem Lebensalter sind oder an Krankheiten leiden. Hier mag eingewendet werden, dass wir das auch nicht genau wissen, da die Entwicklungs- und Erprobungszeit für den Impfstoff sehr kurz war. Dieser Einwand ist deshalb nicht stichhaltig, da das Verfahren, welches zur Herstellung dieses Impfstoffs angewendet wird, seit mehr als 10 Jahren erforscht wird und von der Art, wie der Impfstoff hergestellt wird und wirkt, kaum zu schwereren Nebenwirkungen führen kann. Allergische Reaktionen sind sehr selten, langfristige Gefahren gibt es nach bestem Wissen und Gewissen keine, die Chancen, dass der Impfstoff auch gegen die Infektion mit mutierten Viren wirkt sind gut, da er sich gegen ein Viruseiweiss richtet, welches vom Virus zum Eintritt in die Zelle benötigt wird und welches auch nach Mutation eher nicht verändert wird.

Aufgrund dieser Darlegungen kann ich zur Frage «sollen wir uns impfen lassen» mit einem ganz klaren Ja antworten.

Angesichts der aktuell knappen Menge an verfügbarem Impfstoff hat sicher die Impfung von sogenannt vulnerablen Personen (Menschen in fortgeschrittenem Alter, aus deren Reihen bis jetzt die meisten Todesfälle zu beklagen sind, Patienten mit relevanten Vorerkrankungen) sehr hohe Priorität. Ebenfalls dringlich ist eine gute Durchimpfung des besonders exponierten Gesundheitspersonals (auch in Alters- und Pflegeheimen), einerseits um sie vor der Erkrankung zu schützen und andererseits um zu vermeiden, dass wegen vieler Krankheitsausfälle Patienten nicht mehr behandelt werden können. Dies gilt auch für Betreuungspersonen von vulnerablen Menschen. Junge und jüngere Erwachsene sollten folgen, da das Ziel sein muss, das Virus nicht mehr länger unseren Alltag bestimmen zu lassen. Für Kinder unter 16 Jahren ist der Impfstoff wegen fehlender Studiendaten aktuell noch nicht zugelassen. Zudem ist dort nicht klar, wieviel sie zur Virusübertragung überhaupt beitragen.

Impfzwang? Obwohl angesichts des Verhaltens verschiedener Menschen in diesem Lande und auf der Welt die Versuchung bestehen könnte, eine Impfung grosser Bevölkerungsteile zu erzwingen, wären die Kollateralschäden in unserer Gesellschaft wahrscheinlich zu gross. Zudem gibt es gute Gründe anzunehmen, dass es genügend vernunftbegabte Menschen in diesem Lande gibt, um die zur Erreichung einer sogenannten Herdenimmunität notwendigen 60% der Bevölkerung zu einer freiwilligen Impfung zu bewegen.

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