Eveline Keller, 28.04.2019
Mit sehr wenigen Menschen habe ich ein derart inniges Verhältnis wie mit meiner Mutter. Das ist umso erstaunlicher, da wir beide unsere Gefühle nicht sehr offen zeigen. Sie kann mich sehr berühren und sie schafft es mich wie keine andere zu verletzen. Wenn ich an sie denke, fällt mir ihr Lachen und ihr Unternehmungsgeist ein, aber auch manch erbitterter Streit. Unsere Verbindung war immer von tiefen Emotionen begleitet. Obwohl weder sie noch ich uns als emotional bezeichnen würden. Aber das scheint wohl eher äusserlich so. Im Innern brodelt da so manches unserer Süppchen.
Solange ich denken kann, kümmerte sie sich um uns Kinder, trug gewissenhaft die Verantwortung und stand uns in schwierigen Zeiten bei.
Sie war es, die immer an meiner Seite war, mich ermahnte, wenn ich falsch lag, mich stützte und zu mir hielt. Auch dann, wenn sie nicht mit meinem Tun einverstanden war. Ich denke gerne an unsere ausgedehnten Diskussionen während dem Geschirr spülen, beim Kochen oder beim gemeinsamen Wandern. Wir sprachen über Gott und die Welt, über antiautoritäre Erziehung, das Leben von Nonnen, die sexuelle Revolution, über Musik und über gute und schlechte Lehrer. Die Aufzählung ginge beliebig weiter. Für ihre offene Haltung und für vieles andere liebe ich sie sehr. Heute geht sie auf die Neunzig zu. Ihre Freundinnen, Geschwister und ihr Ex-Mann sind ihr bereits ins ewige Paradies vorausgegangen, und es wird zunehmend stiller um sie.
Aber sie kann mich immer noch, mit einer hingeworfenen Bemerkung wie: “Du solltest noch deine Haare waschen, bevor du gehst.”, auf die Palme bringen. Als ob ich das nicht selber wüsste!
Als Freundin habe ich sie nie gesehen, dafür hatten wir zu wenig Distanz zu einander. Sie ist mein moralisches Gewissen. Sie ist eben meine Mutter, mit vielen liebevollen Zügen, aber auch übergriffig und verbohrt.
Ich liebe sie.
Liebe Eveline
Es ist sehr spannend zu lesen wie Du zu Deiner Mutter stehst. Die Gefühle bleiben aussen vor, dennoch brodelt es im Innern, dass es fast schon nahezu zur Explosion führen könnte. Aber nicht immer....nur manchmal...und das auch wohlüberlegt. Ausser, wenn sie ein Seitenhieb abgibt, den sie besser für sich behielte. Wie ich das kenne....ein Satz nur oder manchmal auch nur ein Wort und der Stich sitzt....genau dort, wo man ihn nicht haben möchte, doch sie treffen immer. Diese phänomenale Art hatte mein Vater. Zack und schon war man auf 380.
Und doch ist es schön, wie Du erzählst welch weitreichende Themen ihr jeweils bereden konntet. Sachlich differenziert und mit einer Hingabe. Ich stelle mir das sehr realistisch vor und es zaubert ein Lächeln auf mein Gesicht. Sehr schön.
Herzlichen Dank
Liebe Grüsse
Gaby
Liebe Gaby
Vielen Dank für deine Worte.
Es ist wirklich so, dass man in solchen Verbindungen dauernd zwischen 'himmelhoch' und 'tiefstes Tal' hin und her baumelt, obwohl man doch sonst ganz vernünftig ist.