Matthias Wiemeyer - So geht spannend

Matthias Wiemeyer, 30.12.2020

Matthias Wiemeyer
Matthias Wiemeyer

Die wenigsten Texte kommen ohne spannende Momente aus. Selbst Sachtexte werden interessanter, wenn gelegentlich etwas Spannung aufscheint.

Spannung ist die unwiderstehliche Kraft, die Ihre Leser packt und bis zum Ende bei der Stange hält. Daher habe ich Krimiautor Peter Höner gebeten, für meinen Blog einen Artikel über Spannung zu schreiben. Peter Höner ist einer der Dozenten in unserem «Diplomlehrgang literarisches Schreiben» und ein souveräner Meister der Spannung. Lesen Sie seinen Artikel und schenken Sie Ihren Lesern im neuen Jahr ein paar spannende Momente:

Peter Höner über Spannung

In unserem Alltag, in unseren Beziehungen mit Partnern, Kindern, Eltern, Nachbarn … möchten wir Spannungen vermeiden. Wir möchten unsere Ruhe haben; möchten, dass die Welt in Ordnung ist.

Doch damit ist Schluss, sobald wir ein Buch in die Hand nehmen, uns einen Film anschauen oder ins Theater gehen.

Jetzt wollen wir das überraschende Ereignis, das alles auf den Kopf stellt; und unsere Stellvertreter – Sympathieträger und Protagonisten – sollen uns vorführen, wie sie die Probleme meistern.

Wir bleiben dran und fiebern mit, bis die Welt wieder in Ordnung ist.

Leben heisst: Das Scheitern meistern

Das trifft für einen guten Roman zu, für Filme und für Theaterstücke. Sie handeln von der Bewältigung des Scheiterns, von Sieg oder Niederlage; alles andere ist langweilig.

Dieses Prinzip gilt nicht nur für grosse Literatur. Es gilt auch schon, wenn Sie von Ihren letzten Ferien berichten.

Je mehr die Ferien nach Plan verlaufen, desto weniger interessant lässt sich davon erzählen. Das schöne Wetter, das gute Essen, das freundliche Personal: langweilig.

Aber wenn der Flieger überbucht und das Hotel eine Katastrophe war; wenn der Mietwagen eine Panne nach der anderen hatte: Dann gibts was zu erzählen.

Spannend wird es immer dort, wo sich eine Erwartung nicht erfüllt, ein Konflikt das Gewohnte aushebelt. Das zwingt uns zu handeln, zu überlegen. Das stürzt uns in Krisen, beschert uns gemischte Gefühle, wirft uns – ins Leben.

Konflikt: Treibstoff spannender Geschichten

Jeder Konflikt wird zum Ausgangspunkt einer Geschichte, die solange spannend bleibt, bis der Konflikt aufgelöst wird.

Jede Wendung treibt die Handlung voran, steigert die Spannung. «Die schlimmstmögliche Wendung» (Dürrenmatt) ist gerade gut genug.

Mit einer Einschränkung: Konflikte müssen glaubwürdig bleiben.

Anders als im echten Leben

Wir können nur überleben, weil sich die millionenfachen Erwartungen, die unsere Lebenserfahrung ausmachen, dauernd bewahrheiten.

Man stelle sich das Gegenteil vor:

Durch ein Fenster sieht man nicht die Landschaft vor dem Fenster; eine Tür geht mit keinem Schlüssel auf; ein Bild hält nicht am Nagel, den wir in die Wand geschlagen haben; die Nachttischlampe erlischt nicht, wenn wir sie ausknipsen.

Wir wären verloren.

Aber Geschichten funktionieren anders: Eine nicht eingelöste Erwartung – ein Bild, das nicht am Nagel hält – kann der Ausgangspunkt für eine spannende Geschichte sein.

Die Spannung erhalten

Als Schriftsteller sind wir ständig damit konfrontiert, dass unsere Geschichte an Drive verliert, dass die Spannung absackt. Die Handlung kommt zum Stillstand und die Leser legen das Buch beiseite.

Darum habe ich zusammengestellt, welche Elemente Spannung erzeugen und welche Spannungskiller Ihre Geschichte ausbremsen.

Hier meine Liste der 8 Spannungsmacher und ihrer Gegenspieler:

Spannungsmacher Nr. 1: Konflikt.

Jede Geschichte lebt von ihren schlimmsten – gerade noch möglichen, gerade noch glaubwürdigen – Mühen, Kämpfen, Widerständen, Revolutionen, Fehden, Streitigkeiten, Gegenschlägen, Abneigungen, Anfeindungen, Überfällen, Protesten, Gewaltausbrüchen, Gemeinheiten, Kriegen, Glaubenskämpfen … Kurz: Von einem Tumult, der die Welt auf den Kopf stellt und Reaktionen erzwingt.

Spannungskiller Nr. 1: Lösungen

Spannungsmacher Nr. 2: Handlung.

Was eine Hauptfigur will und welchen Konflikten sie ausgesetzt wird, ergibt die Handlung der Geschichte. Diese wird umso spannender, je grösser die Diskrepanz zwischen dem Willen der Hauptfigur und dem Konflikt der Geschichte ist.

Die Hauptfigur muss Gefahren bestehen, ihr werden Fallen gestellt, es tauchen immer neue Schwierigkeiten auf, sie muss Prüfungen bestehen. Gefahren, Fallen, Schwierigkeiten, Prüfungen ...

Leserinnen und Leser wollen miterleben, wie die Hauptfigur handelt, um ihre Probleme zu meistern.

Spannungskiller Nr. 2: Die Idylle. Die Hauptfigur will nichts, es gibt keinen Konflikt.

Spannungsmacher Nr. 3: Identifikationsfigur.

Eine Geschichte lebt durch ihre Helden. Jeder will etwas: Ein Ziel erreichen, einen Feind besiegen, ein Rätsel lösen, die Menschheit retten …

Eine Identifikationsfigur vereint eine Vielzahl von Charakterzügen, die sie dem Leser, der Leserin sympathisch machen. Mit diesem Sympathieträger möchten wir die Abenteuer bestehen, denen wir uns im eigenen Leben niemals aussetzen würden.

Spannungskiller Nr. 3: Ein langweiliger Held. Eine Identifikationsfigur, die alles immer richtig macht.

Spannungsmacher Nr. 4: Überraschungen.

Eine Geschichte überrascht uns durch Wendungen, die wir nicht erwartet haben.

Das kann grundsätzlich alles sein, was die Handlung vorantreibt. Eine Überraschung verschärft den Konflikt, führt eine neue Dimension ein, erweitert die Geschichte durch eine neue Perspektive …

Möglich ist alles, was dem Autor, der Autorin im Zusammenhang mit der Geschichte einfällt und der Geschichte einen neuen Impuls gibt.

Spannungskiller Nr. 4: Stillstand. Wiederholungen, Variationen des bereits Erzählten. Überraschungen, welche die Geschichte nicht vorantreiben.

Spannungsmacher Nr. 5: Neugier.

Jede auftretende Figur interessiert uns Lesende. Wir wollen erfahren, warum und wie sie in die Handlung eingreifen, ob sie eigene Ziele verfolgen, was sie denken, fühlen, welche Haltung sie in Bezug auf den Konflikt einnehmen. Ob sie sich als Gegenspieler zur Hauptfigur entpuppen oder sich als Freund bewähren?

Nur im Kreis aller Figuren kann sich eine Hauptfigur etablieren. Nur wenn alle Figuren die Hauptfigur begleiten, mitleiden, bekämpfen, sich über ihren Mut und Klugheit freuen oder sie auslachen … nur dann erleben wir, wie sich die Hauptfigur durchsetzt und bleiben neugierig auf die nächsten Schritte unseres «Helden».

Spannungskiller Nr. 5: Überflüssige Figuren, die nichts wollen.

Spannungsmacher Nr. 6: Suspense.

Wir Lesenden wissen mehr als die Hauptfigur und sehen, wie diese auf eine Wendung (eine Katastrophe, eine Begegnung, eine Peinlichkeit …) zusteuert. Oder wir müssen erdulden, dass die entscheidende Begegnung, die alles erklärende Aufklärung im letzten Moment doch nicht stattfindet.

Ein guter Suspense ist eine Information an die Leser und wird mit Sympathie verbunden. Wir Zuschauer möchten, dass der Hauptfigur nichts geschieht, wir möchten sie warnen können. (Ein Beispiel: Eine explodierende Bombe ist eine Überraschung. Wenn die Zuschauer wissen, dass unter dem Tisch eine Bombe tickt, wenn sie sehen, wie die Uhr abläuft, möchten sie ihren Helden zurufen: «Bitte, bitte, lauf weg!» Dieses Mehrwissen ist ein Suspense.)

Spannungskiller Nr. 6: Ein Suspense, der vergessen wird.

Spannungsmacher Nr. 7: Cliffhanger.

Eine Geschichte wird von ihrem Erzähler immer kurz vor einer entscheidenden Wendung unterbrochen.

Kurz bevor ein Gipfel, ein Ziel, ein Höhepunkt erreicht wird, bevor eine Frist abläuft, ein Problem sich löst, oder jemand eine Gefahr übersteht, wechselt der Autor die Perspektive und berichtet von einem anderen Schauplatz der Geschichte.

Spannungskiller Nr. 7: Cliffhanger ohne Cliff und ohne Hänger.

Spannungsmacher Nr. 8: Sprache.

Schon durch einzelne Wörter kann Spannung angekündigt und erzeugt werden.

Plötzlich! Mit einem Schlag! Vollkommen unerwartet … Jäh! Endlich war es soweit …

Verben treiben die Handlung voran und machen Tempo.

Oder der Rhythmus der Sprache verändert sich insgesamt: Abgerissene Sätze, staccatoartige Dialoge, Gedankensprünge.

Spannungskiller Nr. 8: Heisse Luft. Sinnlose Aufbauschungen, falsche Töne, viel Geschrei, aber nichts dahinter.

Und zu guter Letzt hier noch eine Infografik mit allen 8 Spannungsmachern und Spannungskillern:

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