So wie meine Mutter? Niemals!

Maya Onken , 22.04.2024

Maya Onken
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Aschenputtel war mein Top-Märchen und ist es bis heute geblieben. Das ist die Geschichte einer jungen Frau, die durch Staub und Dreck im Alltagsleben unsichtbar geworden ist. Sie wird getreten und missachtet und lebt unter Leid und Trauer um Verluste. Und doch wählt der Prinz gerade sie aus! Er findet sie, dann verliert er sie, sucht sie durchs ganze Land und schliesslich findet er sie, erkennt sie als etwas Einzigartiges, Wunderschönes.

Ein junges Mädchen ist wirklich blöd dran! Einerseits will sie einzigartig und einmalig sein, andererseits weiss sie nicht, wie das geht. Und die einzige Person, von der sie abschauen kann, sind die weiblichen Rollen im eigenen Familientheater. Hauptbesetzung: die Mutter.

Diese Mutter ist schon weiter fortgeschritten in ihrem Versuch, was Tolles abzugeben. Könnte ein Vorbild sein. Etwas Nachahmenswertes. Die Tochter untersucht, ob es sich lohnt, sie zu kopieren.

Ich kann mich noch gut erinnern: Ich war damals 13 Jahre, habe mir damals meinen ersten BH gekauft und war mit Weiblichkeit konfrontiert. Meine Mutter steckte gerade in ihrer Scheidung und hatte einen neuen Boyfriend an ihrer Seite. Sie sprang und hetzte durch ihr Leben, versuchte es allen Parteien recht zu machen, zudem Geld zu verdienen, ihre Begabungen ins Leben zu rufen und gleichzeitig mit uns zu überleben. Das war nun weiss Gott kein nachahmenswertes Leben! Ich wollte auf keinen Fall so werden wie sie. Und als ich ein Scheidungskind wurde, versprach ich mir, alles besser zu machen. Und als ich selbst eine Tochter bekam, wollte ich die wesentlich bessere Mutter werden wie meine eigene. Es war also klar, so wie sie, wirklich nicht. Nein, bitte nicht!

Wenn ich mich jetzt betrachte, kann ich sagen: Die Fähigkeit, in grossen Krisen alles zu bewältigen, sowohl finanziell, persönlich, beziehungstechnisch, rund um den Haushalt, verantwortlich für alle und stets an alles denkend, rennen, keuchen und heben, pflegen und trösten und gleichzeitig öffentlich auf der Bühne stehen und performen - das alles konnte ich damals von ihr lernen.

Denn schliesslich habe ich ihre Gene, habe bereits mit der Muttermilch einige Kompetenzen aufgesogen. Ich komme aus dem gleichen Stall wie sie, habe die gleiche Luft geschnuppert, die vom Wunsch nach Potenzialentfaltung geschwängert war. So habe ich eben einige ihrer Begabungen geerbt – selbstverständlich auch Eigenschaften vom Vater (dazu mehr im nächsten separaten Blog). Ich kann schreiben wie der Wind, denken wie eine Philosophin, sprechen und erzählen, so dass andere gerne zuhören und ich kann schwierige Inhalte herunterbrechen und anderen plausibel erklären und beibringen. Genau wie sie!

Meine Abwehrversuche, diese Begabungen nicht zu leben, scheiterten kläglich. Ich studierte lediglich nur 3 Wochen Biochemie. Ich wollte allen zeigen, dass ich ANDERS bin. Das Universum machte kurzen Prozess. Es schickte mir einen Drehschwindel, permanente Überforderung und den Verlust von sämtlichen Wertsachen bei einem überstürzten Tramwechsel. Es schleuderte mich dorthin, wo ich hingehörte: in die Germanistik.

Und so landete ich punktgenau in den Themen meiner Mutter: Didaktik, Kommunikation, Psychologie und Philosophie. Und wie sie gründete ich eine eigene Schule und schrieb Bücher. Und wie sie trennte ich mich vom Ehemann.

Meine sämtlichen Versuche, nicht so zu sein wie sie, führten zu neuen Missständen. So blieb ich in unzumutbaren Familienverhältnissen und harrte unglücklich aus, um meinen Kindern die Scheidung zu ersparen, die nun dieses Jahr trotzdem vollzogen wird. Denn was haben meine Töchter nun von mir gelernt? Vielleicht haben sie beschlossen, dass sie nicht so sein wollen wie ihre Mutter. Dass sie in Unfreundlichkeit nicht ausharren werden und dass sie niemals so viel arbeiten wollen wie sie?

Ja, meine Töchter, ihr müsst nicht so sein wie ich! Ihr sollt was Einzigartiges werden und was Wundervolles. Doch schneidet nicht die Wurzeln ab, die euch genährt haben und mit deren Saft ihr angefüllt seid. Schaut euch genau an, was ihr anders machen wollt, nutzt aber auch die Kraft eurer Herkunft: Ich und eure Grossmutter können durchhalten, Grossartiges in die Welt bringen, Raupen zu Schmetterlingen transformieren. Wir sind stark und zielorientiert, wir können lieben und hegen und pflegen. Nehmt euch vom Buffet, was ihr braucht, und ergänzt es mit euren einzigartigen Eigenheiten. Ich verspreche euch, dann wird alles gut.

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