Toleranz

Eckart Ruschmann, 30.04.2019

Dr. Eckart Ruschmann
Dr. Eckart Ruschmann

Wir hatten kürzlich im Frauenseminar eine ziemlich heftige Diskussion über Toleranz. Ich vertrat die Auffassung, dass Toleranz nur dann möglich ist, wenn mir auch auf der anderen Seite Toleranz entgegenkommt, also auf eine Kurzformel gebracht: Tolerant nicht gegen Intoleranz. Andere meinten, das ginge gar nicht, entweder man sei tolerant oder nicht. Was sagt die Philosophie darüber?    (Manuela)

Liebe Manuela,

da hast du ein wichtiges aber auch komplexes Thema angesprochen. Mit Toleranz ist es ähnlich wie mit Gerechtigkeit (das Thema hatten wir ja schon einmal in diesem Kontext) – das Gegenteil ist leichter zu definieren und zu verstehen. So entwickelt sich bei Kindern so etwas wie ein „Gerechtigkeits-Empfinden“ erst relativ spät, und zwar vor allem unter dem Einfluss von „empfundener Ungerechtigkeit“, etwa wenn die Kinder von den Eltern ungleich behandelt werden.

So lässt sich auch Intoleranz relativ leicht definieren: intolerant ist jemand, der die Meinung eines anderen nicht respektiert, sie abwertet oder ablehnt und die eigene Meinung von vornherein als „besser“ betrachtet, als „richtig“, die des anderen als „falsch“. Man kann diese „Qualität“ auch als „Dogmatismus“ bezeichnen.

Nun gibt es allerdings auch den Begriff der „Wahrheit“ bzw. des Wertes. Wie soll ich mich verhalten oder damit umgehen, wenn ich die Vorstellungen bzw. das Verhalten eines Menschen als „falsch“ ansehe, als „Werteverstoß“? Woher nehme ich den Maßstab für diese meine Einschätzung? Dabei hilft mir der Bezug auf Toleranz wenig.

Gibt es denn Werte, die für alle Menschen verbindlich sind bzw. sein sollten? Oder sind „Werte“ nur kulturelle Vereinbarungen, die eher beliebig sind und in ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit respektiert werden müssen – ist das „Toleranz“? Im Sultanat Brunei müssen Homosexuelle seit kurzem mit der Todesstrafe durch Steinigung rechnen - vorher „nur“ mit bis zu 10 Jahren Haft. Das Sultanat hat in einem Brief an die Europa-Abgeordneten auf die heftige Kritik reagiert und für seine ‚traditionellen Werte‘ „Toleranz, Respekt und Verständnis“ gefordert. Muss man da tolerant sein und das akzeptieren?

Die verschiedenen Anschauungen, die man in der Welt in vielen Bereichen vorfinden kann, sind meist in unterschiedlichen Welt- und Menschenbildern begründet. Gibt es eine „tiefere“ Ebene in uns, eine Werte-Dimension, die in der letzten Ebene alle Menschen miteinander verbindet? Wenn das so ist, dann gibt es keine Rechtfertigung für (körperliche bzw. seelische) Verletzung anderer Menschen, wohl aber „Sanktionen“ für Werteverstöße. Im Falle Brunei hat z.B. George Clooney gefordert, Hotels, die dem Sultan gehören, zu boykottieren. Ist das ‚intolerant‘ oder ‚an Werten orientiert‘?

Zu kompliziert? Vielleicht hilft eine „Anleihe“ bei der aristotelischen Tugendlehre – für ihn kann jede „Tugend“ oder „Qualität“ durch ein Zuviel oder Zuwenig in ihrem Wert beeinträchtigt werden.

Ein Zuwenig an Toleranz wäre dann die schon beschriebene Intoleranz, die andere Meinungen bzw. Verhaltensweisen prinzipiell nicht gelten lässt. (Weise Menschen werden übrigens u.a. damit beschrieben, dass sie sehr wohl eine klare eigene Meinung zu bestimmten Fragen haben, aber dennoch imstande sind, abweichende Ansichten zu respektieren.)

Ein Zuviel an Toleranz wäre dann eine gleichgültige „Laissez-faire“-Haltung – jeder soll nach seiner Fasson selig werden, man darf sich nicht einmischen, Menschen sind einfach Produkte der jeweiligen Kultur, übergreifende Werte gibt es nicht.

Die Folgerung daraus: Toleranz bzw. die Forderung danach kommt ohne Bezug zu Werten und klar definierten menschlichen Qualitäten nicht aus. Zu wenig an Toleranz ist intoleranter Dogmatismus, zu viel an Toleranz ist Gleichgültigkeit und mangelndes Wertebewusstsein.

Mit dieser Haltung darf es auch einmal ein „Ringen“ geben, wenn ich eine andere Meinung vertrete als mein Gegenüber, einen „liebenden Kampf“, wie es Martin Buber genannt hat.

Insofern ist der Toleranzbegriff vielleicht gar nicht so gut geeignet, uns Orientierung zu geben. Schließlich ist er im westlichen Abendland im Zuge der Aufklärung entstanden, als Protest gegen erlebte Intoleranz, vor allem im religiösen Bereich, wo Dogmatismus und daraus folgende Intoleranz anderen Überzeugungen gegenüber eine große Gefahr darstellt, damals wie heute. Leider kann der Kampf gegen Intoleranz selbst sehr intolerant und brutal werden, wie uns die Geschichte gezeigt hat.

Was können wir daraus schließen? Sich an „Toleranz“ als einem Grundwert zu orientieren, ist offensichtlich problematisch. Es kommt eben, wie meist, auf das „rechte Maß“ an und auf die Orientierung an „tieferen Werten“. Und da gibt es bessere Beschreibungen einer offenen, nicht bewertenden und doch an Werten orientierten Haltung als es der Toleranzbegriff ermöglicht.

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