Trau Dich!

Petra Sewing-Mestre , 29.03.2022

Petra Sewing-Mestre
Petra Sewing-Mestre

Ich habe mir gestern einen pink-farbigen Hosenanzug gekauft, für meinen nächsten Vortragsabend. Tatsächlich. Kein helles Rosa oder etwas zartes Fliederfarbiges, sondern knalliges Pink, das mich zu einem wandelnden Bonbon macht.

Als ich das Geschäft betrat und meinen Farbwunsch äusserte, tat die reizende Verkaufsberaterin zunächst so, als würde sie meine farbliche Vorliebe überhören und führte mich zur Abteilung dunkelblau, anthrazit, grau und beige. Das seien doch wirklich neutrale Farben, hervorragend kombinierbar mit kleinen farblichen Akzenten und eben sehr unauffällig.

Neutral und UNAUFFÄLLIG ?!?!?! Ich will aber sichtbar bleiben. Auch mit über 50 oder besser gesagt, bald 60! Viele Frauen in diesem Alter klagen darüber, dass sie irgendwie nicht mehr wahrgenommen werden und quasi unsichtbar sind. Ist das ein Grund, auch zu unauffälligen Farben zu greifen? Vielleicht müssen wir uns selbst ein bisschen an die Nase fassen, weil wir uns mit der Unsichtbarkeit so widerspruchslos abfinden. Haben wir vielleicht mit der Farbe auch unseren Mut, die Lust auf Neues und die Lebensfreude hinter uns gelassen?

Je weiter ich in dieses Thema eintauche, desto mehr habe ich den Eindruck, dass bestimmte Altersstufen mit ganz bestimmten Farben korrelieren: Am Beginn des Lebens werden die zuckersüssen Neuankömmlinge in Babyrosa oder Himmelblau gekleidet. Genderneutral darf es auch ein zartes Gelb oder die Nicht-Farbe Weiss sein.

Dann ist man irgendwann noch «Grün hinter den Ohren», trägt die rosarote Teenagerbrille, badet mit der quietschegelben Quietscheente. Die erste Verliebtheit zaubert feuerrote Wangen.

Der Lebensweg führt nun direkt in die erste Umbruchphase der Pubertät: Dort werden uns zuweilen goldene Brücken gebaut, Möglichkeiten auf dem Silbertablett serviert und manchmal kommt man aus besonders brenzligen Situationen mit einem blauen Auge davon.

(Ok, war manchmal ganz schön knapp, aber immerhin mit Farbe!)

Warum leben nun viele alte Menschen ein Leben in Schwarz-Weiss oder Beige, jedenfalls fernab von jeglicher Farbigkeit? Ein Blick auf die demographische Entwicklung der Bevölkerung könnte zu folgender Vermutung führen: Beige galt in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts als heller, reiner Farbton für sozial besser gestellt Bürger. Aber inzwischen ist es vor allem die Generation der Wirtschaftswunderkinder, die im tiefen beigen Meer versinkt. Natürlich gibt es auch Beige-Träger, vor allem Männer, die einfach das anziehen, was ihre Beige/Grau liebende Ehefrau ihnen herauslegt. Dann meistens noch in der Qualität Popeline oder Trevira. Genauso unauffällig und pflegeleicht.

Inzwischen gibt es auch eine wissenschaftliche Theorie, die (wirklich ernsthaft!) davon ausgeht, dass die Vorliebe für gedeckte, unauffällige Farbtöne in zunehmendem Alter genetisch bedingt sei und vermutet, dass bereits unsere steinzeitlichen Vorfahren jenseits der 30 zur bekannten Tarnfarbe gegriffen hätten. Das «Beige-Gen» und der damit verbundene Griff zu unauffälligen Farben sollte ältere Sippenmitglieder vor Raubtieren und anderen Bedrohungen schützen.

Die gleiche Studie erlaubt den heutigen Seniorinnen und Senioren allerdings grosszügigerweise zum Beige schon mal den «Hauch eines kecken Violett» oder den Herren ein «verwegen zu ahnendes Grünlich».

Da halte ich mich doch lieber an mein von mir so sehr bewundertes (farbliches) Vorbild an Lebensfreude: die inzwischen 100jährige New Yorkerin Iris Apfel, Innenarchitektin und Stilikone. Zugegeben, Iris Apfel kann einem optisch schon etwas zuviel werden mit ihrem bunten, exzentrischen Kleidungsvorlieben – und das noch in dem Alter!

Unauffällig, unsichtbar? – Iris Apfel doch nicht! Lieber eigensinnig mit Signalwirkung und auf Normen und Moden pfeifend.

Das Deutsche Lackinstitut (ja, das gibt es tatsächlich!) ist voll auf Iris’ Seite und meint: «Senioren brauchen kräftige Farben!» Und warum? Je älter wir werden, desto stärker nimmt unsere Fähigkeit ab, Farben voneinander zu unterscheiden. Vor allem die Farbeindrücke bei Pastellfarben werden anders wahrgenommen. Was für einen 35jährigen eindeutig als Rosa erkennbar ist, nimmt ein 70jähriger unter Umständen als Beige war.

Huch, eine schreckliche Vermutung steigt angesichts dessen in mir empor: Die Heerscharen von Seniorinnen und Senioren in Beige – alles vielleicht gar nicht so gemeint? Die Folgen einer Veränderung bei der Farbwahrnehmung? Farblich in 2-3 Schattierungen zwar geschmackvoll aufeinander abgestimmt, aber eben trotzdem Renterbeige oder Friedhofsblond?

Wir sollten uns mehr trauen. Auch zutrauen, auch mit über 50. Mut zur Farbe und zu einem bunten Leben. Die uniforme Einheitlichkeit und Unauffälligkeit macht uns nicht glücklich. Lasst uns mehr Farbe ins Leben bringen, so wie die «Silversurfer», eine Gruppe von Seniorinnen und Senioren im Internet, die sich diesen Namen selbst und stolz gegeben haben. Auch Altrosa wäre ein Anfang.

Und für die Fortgeschrittenen noch ein ultimativer Tipp: Sowohl Kleidung als auch das Leben selbst vertragen sogar noch eine grosse Portion Glitzer obendrauf!

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