Hallo Bundeshaus-Ladies

Julia Onken, 22.12.2017

Julia Onken
Julia Onken

Machen Sie Schluss mit dem Affentheater. Ich bitte Sie – auch im Namen vieler Frauen - die Aufregung um die sexuellen Belästigungen Ihrer ehrenwerter Amtskollegen herunter zu kühlen und wieder Ihren Verstand einzuschalten.

Wir haben Sie nicht als Volksvertreterinnen gewählt, damit Sie wie verschüchterte Schulmädchen im Hinterzimmer mit ebenso aufgescheuchten Kolleginnen herumtuscheln und mit vorgehaltener Hand über die bösen Buben jammern. Wie können Sie sich denn im politischen Geschäft ernsthaft einbringen, wenn Sie es nicht einmal wagen, in eigener Sache eine unmissverständliche Position zu beziehen! Sie geben ein denkbar schlechtes Modell für eine selbstbewusste Frau ab, die jederzeit in der Lage sein sollte, unflätigem Gebaren und rüpelhaftem Benehmen bestimmt und beherzt Einhalt zu gebieten.

Wir erwarten auch, dass Sie sich dort stark machen, wo sexuelle Übergriffe tatsächlich geschehen, und sich junge Frauen und Mädchen nicht zur Wehr setzen können, weil sie abhängig sind. Ein junges Mädchen wurde kürzlich an mich zur Psychotherapie überwiesen. Sie hatte in ihrer Verzweiflung Schlaftabletten geschluckt und konnte gerade noch rechtzeitig gerettet werden. Ihr Lehrlingschef griff ihr regelmässig unter die Bluse und sie wagte nicht, sich dagegen zu wehren weil sie befürchtete, die Lehrlingsstelle zu verlieren. Da braucht es dringend Ihre gezielte Unterstützung! Ebenso benötigen auch junge Frauen und Mädchen aus patriarchalen Kulturen Schutz – und da gäbe es für Sie weiss Gott genug zu tun!

Und noch etwas. Die Lebensphase „ich werde begehrt, also bin ich“ ist beschränkt. Eh Sie sich versehen, sind Sie im Niemandsland von bewundernden Blicken angekommen. Keine begehrlichen Blicke mehr. Keine Anmache mehr. Alles bleibt stumm. Und statt dies als neue Komfortzone zu verstehen, um den Focus aufs Denken zu nutzen, sind oft neue Klagen zu vernehmen: „wäh, ich werde nicht mehr als Frau wahrgenommen“. Dabei wäre diese Zeit Auftakt für eine neue Herausforderung, nämlich seinen Geist zu schärfen, um mit untrüglichem Blick gesellschaftspolitische Entwicklungen zu beobachten, zu analysieren und wichtige Veränderungsprozesse mit klugen Argumenten voranzutreiben.

Ich wünsche Ihnen eine gute Zeit.

Julia Onken


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