Leben mit Goldrand - von Meta Zweifel

Verena Lüthi , 29.04.2020

Verena Lüthi
Verena Lüthi

Schon beim Berühren des edel und aufwendig gestalteten Buches wird deutlich, dass es um eine sorgsame Spurensuche nach Werten geht, die uns in den vergangenen Jahrzehnten abhanden gekommen ist. Wer als Leser oder Leserin 60 und mehr Jahre at ist, wird ein Gefühl von «Heimkommen» erleben, weil vieles an die eigene Kindheit und Jugend erinnert.

Im ersten Teil des Buches fügt die Autorin den kurzen Bildern aus der Anno-dazumal-Zeit alte Kochrezepte und Hinweise auf die Vorratshaltung von einst bei. Es soll jedoch kein Kochbuch-Effekt entstehen, sondern die Rezepte wollen die Erinnerung an Gerüche wachrufen – und bewusstmachen, dass manches aus vergangener Zeit seine Bedeutung nicht verloren hat und neu entdeckt werden darf.  

Eigene Erinnerungen tauchen auf, wie etwa das Weissbrot, welches nur für den Sonntag reserviert war, oder der Gugelhopf, der immer am Samstag frisch gebacken wurde. Altes Brot wurde nicht weggeworfen, sondern als Reste verwertet zu Vogelheu oder Fotzelschnitten.

Der Wochenplan richtete sich nach den Jahreszeiten und all dem was gerade im Garten geerntet werden konnte. Da das Aufbewahren noch nicht wie heute möglich war, beeinflusste das auch den wöchentlichen Essplan. So war am Montag grundsätzlich der Restetag vom Sonntagbraten. Freitag war immer der Fleichlostag, da gab es meist Wähen, Knöpfli oder ab und zu Fisch.

Ganz mulmig wird einem beim Lesen, als der Grossvater dem Kind auf die Frage warum alle Kirchenglocken läuten, bedrückt antwortete «Kind, es ist Krieg». Dass diese Passage ausgerechnet im Abschnitt der Kartoffeln auftritt, ist gewollt, wurde doch damals jedes freie Plätzchen zu einem Kartoffelacker umfunktioniert. «Selbstversorgung», das war das Überlebensmantra der Schweiz während dem Krieg. Vermutlich verdankte die Schweizer Bevölkerung diesen unzähligen Kartoffelackern sogar mitten in den Städten und den erfindungsreichen Rezeptvarianten der damaligen Hausfrauen, dass sie nicht Hunger litten.

Das Goldrand-Festessen zeigt, wie der Sonntag seine eigenen Regeln hatte. Da wurde der Tisch im Wohnzimmer festlich gedeckt mit dem «schönen» Geschirr und oft auch mit Silberbesteck und steif gestärkten Stoffservietten. Da nahm sich die Familie Zeit, der Sonntagsbraten, wurde nicht einfach verschlungen, sondern das Essen wurde zelebriert und mit einem feinen Dessert abgerundet.

Die Autorin nimmt ihre Leser mit in die unerschöpflichen Vorratskeller, da lagerten Kartoffeln und Äpfel auf den Holzregalen, darüber standen unzählige Gläser mit Konfitüre, eingemachtem Obst und Gemüse, Flaschen mit leckeren Sirups, die vom vergangenen Sommer erzählten und das Fass mit dem Sauerkraut. Alles wurde zur Erntezeit verarbeitet, geschnipselt, eingekocht, sterilisiert und bereitgestellt, um in die kargen Wintermonate etwas Abwechslung in die Mahlzeiten zu bringen. Auch da erzählt die Autorin so anschaulich ihre Geschichten dazu, dass man glaubt, man sieht die Konfitüre in den Töpfen auf dem Herd blubbern und riecht die süsse Schwere der Früchte. Natürlich auch hier mit Rezepten, die «gluschtig» machen, wieder einmal Buttenmost-Konfitüre selber zuzubereiten.

Wunderschön erzählt die Autorin von den Festen durch das Jahr, mit ihren speziellen Bräuchen und auch hier wieder leckere, längst vergessene Rezepte.

Ganz speziell sind die Geschichten zum Wohnraum. Der obligatorische Samstag-Putz, der Vorplatz, der gewischt werden musste, die Böden die glänzten und nach Bodenwichse rochen bis hin zum Frühjahrsputz, wo die hinterletzte Matratze nach draussen geschleppt und durchgeklopft wurde.

Ein nächster Abschnitt ist der Gesundheit gewidmet. So manch Tränklein und Gesundheitstee gibt uns Meta Zweifel mit in die heutige Zeit.

Der letzte Teil des Buches ist sozusagen das Dessert des Ganzen. Hier erzählt die Autorin Episoden aus ihrem Leben zu Themen, die ihr am Herzen liegen. Wie immer sind diese Geschichten wunderschön geschrieben mit einem gehörigen Schuss an Poesie und schon fast philosophischen Erkenntnissen.

Obwohl das Buch ein Fundus an alten Rezepten ist, es ist viel mehr als ein Kochbuch. Die zauberhaft erzählten Geschichten animieren dazu, die Rezepte auszuprobieren und werden so quasi zum Leben erweckt.

Ein sehr lesenswertes Buch, welches ihre Leser in eine Zeit zurückversetzt um die Mitte des letzten Jahrhunderts. Das Buch ist eine echte «Trouvaille», jüngere Leserinnen lernen den Alltag einer Zeit kennen, die längst vergangen ist. Für alle, die diese Zeit erlebt haben, ist es hingegen eine Reise in den Alltag der eigenen Vergangenheit.

Leben mit Goldrand - Meta Zweifel

Meta Zweifel ist in Münchenstein aufgewachsen, wo sie heute noch lebt. Sie hat drei Kinder grossgezogen und arbeitete als Journalistin beispielsweise für die «Basler Nachrichten» und für «Radio DRS 1», sowie für verschiedene Magazine. Als ständige Mitarbeiterin der ehemals am weitesten verbreiteten Schweizer Frauenzeitschrift «Meyers Modeblatt» schrieb sie über Familie, Gesundheit und Freizeit – ihre Interviews und Reisereportagen erfreuten sich grosser Beliebtheit. Rund zehn Jahre war sie Chefredakteurin der auflagenstarken Gesundheitszeitschrift «Drogistenstern». Derzeit schreibt sie Kolumnen, Artikel und Interviews, u.a. für «astrea-APOTHEKE», das Gesundheitsmagazin der Schweizer Apotheken und das «Julia Onken-Online-Magazin»

Das Buch ist erschienen im Verlag Orell Füssli, ISBN 978-3-280-05679-0

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