Verena Lüthi, 03.05.2021
Linda Thomas
Webseite: lindathomas.org
me@lindathomas.org
Erschienen sind die Bücher:
Erhältlich in allen Buchhandlungen
Es brennt mir unter den
Fingernägeln – es ist Frühling, ich sollte schon längst in meinem Büro Ordnung
schaffen, entsorgen, einlagern, umstellen und putzen – das wären wirklich dringend
anfallenden Tätigkeiten. Ich denke es geht mir so wie vielen Menschen, man
schiebt es immer wieder hinaus. Liebe Linda, Ordnung – Unordnung, was sagst Du
als Fachfrau dazu?
Wenn es um Unordnung geht, gibt es für mich zwei
wichtige Übungen dazu, die uns weiterhelfen können:
1.
Wahrnehmung
Bei der Wahrnehmungsübung geht es darum das Büro
oder das Zuhause mit neuen Augen anzuschauen. Was stört mich am meisten im
Raum? Was gehört hier nicht hin und wieso ist es überhaupt hier?
Das was am meisten stört, ist meistens etwas, dass wir schon sehr lange immer wieder verschieben.
Sobald das erst mal erledigt ist, wird viel Kraft wieder frei. Dann haben wir oft Lust einfach weiterzumachen.
2.
Selbstwahrnehmung
Die Selbstwahrnehmung, hilft uns zu erkennen, warum
wir uns immer wieder in der gleichen Situation befinden. Die Ordnung scheint
immer ganz von alleine in die Unordnung überzugehen. Auf einmal ist sie wieder
da, und das umgekehrte passiert nie! Da muss man bewusst, gestaltend
eingreifen, um sie wieder herzustellen.
Wie entsteht Unordnung? Durch die Selbstwahrnehmung erkennen wir unsere Gewohnheiten. Scheue ich den letzten Griff oder die zwei oder fünf weiteren Schritten und finde eher einen «zwischen» Parkplatz für eine Sache. Das heisst ich führe etwas nicht ganz zu Ende und wenn ich drei oder vier Baustellen habe, ist die Unordnung schon da.
Es gibt sehr wenig Sachen, die uns soviel Kraft kostet, für soviel Frustration sorgt, wie die Unordnung. Nicht das Aufräumen macht uns müde, sondern der Gedanke an alles was noch gemacht werden soll. Vor allem aber, die Erkenntnis, dass es schon wieder so weit gekommen ist.
Ordnung soll dienen und nicht herrschen! Wenn Ordnung „herrscht“ leiden andere meistens darunter.
In deinem Buch
«Frühjahrsputz» schreibst Du, dass Ordnung zu schaffen ein zutiefst
schöpferisches Tun ist, wie schaffe ich es bloss, Putzen nicht als notwendiges
Übel, sondern als schöpferische Tätigkeit zu empfinden?
Ich glaube es geht darum den Sinn der Tätigkeit zu
erkennen. Putzen ist nicht ein notwendiges Übel, sondern es schenkt uns
Lebensqualität, welche die Menschen brauchen, um sich entfalten zu
können! Ein gut gepflegter Raum kann die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit
steigern, sowie die Kreativität und Produktivität.
Wenige Tätigkeiten sind so fraglos positiv in der Wirkung wie das Putzen, weil Sauberkeit Klärung und Möglichkeit schafft.
Vor Jahren hatte ich ein Erlebnis, das mir zeigte, dass wir die Bedeutung der liebevollen Pflege eines Raumes nie unterschätzen dürfen, denn dadurch schaffen wir tatsächlich Platz für etwas Neues. Das sind kostbare Momente, in denen wir gestaltend arbeiten und zur Erneuerung und zum Frieden beitragen können.
So wurde ich einmal von einer Erziehungsanstalt für jugendliche Kriminelle gebeten, ein ganzes Wohnhaus von Grund auf zu reinigen. Ich war empört über den vernachlässigten Zustand, den ich vorfand, und wollte wissen, wer gewöhnlich für die Reinigung der Räumlichkeiten zuständig sei. Die Jugendlichen, hieß es. Darauf antwortete ich, dass ich gerne bereit sei hier zu putzen, jedoch nicht mit den Angestellten meiner Firma. Ich würde meine Mittel, Geräte und mein ganzes Know-how zu Verfügung stellen, um mit den Jugendlichen selbst und den Erziehern das Haus zu putzen. Das wurde akzeptiert!
Nach einem gemeinsamen Frühstück war es soweit. Wir fingen in einem Haus an, wo zehn Jugendliche wohnten, wovon jeweils fünf an einem Wochenende freien Ausgang hatten. Somit wurde die Arbeit auf zwei Wochenenden verteilt. Das Haus hatte drei Stockwerke, und das ganze Treppenhaus war mit aggressivsten Graffitis bemalt, furchtbare Bilder. In den Zimmern selbst sollten nur die Fenster, Türen und Böden gereinigt werden.
Doch als die Jugendlichen einmal begonnen hatten, wollten sie gleich alles machen. Sie fingen an, die Poster und Kleber zu entfernen. Einer nahm sogar sein ganzes Bettgestell auseinander und fand dabei viele verlorene Kleidungsstücke wieder. Ein anderer wollte wissen, wie er seine Stereoanlage biologisch reinigen könne … Die Stimmung war wunderbar, und wir schafften sehr viel in dieser Zeit.
Als ich am nächsten Wochenende für die zweite Hälfte zurückkam, erwartete mich eine wunderbare Überraschung. Die Jugendlichen, die mit mir geputzt hatten, hatten am darauffolgenden Montag um Erlaubnis gebeten, von ihrem eigenen Geld Farbe einkaufen zu dürfen. In der freien Zeit strichen sie das ganze Treppenhaus von oben bis unten weiß. Aber dabei blieb es nicht: Sie bemalten die ganze Fläche mit kindlichen Bildern. Ein Häuschen mit rosaroten Vorhängen an den Fenstern, einer grünen Tür und rauchendem Schornstein, Obstbäume mit reifen Äpfeln und Kirschen, eine strahlende Sonne, einen Regenbogen, Schmetterlinge, Schneckenhäuser, Tulpen und Osterglocken – und Kinder, die auf einem Hügel Drachen steigen ließen.
Erst diese Kulturerfahrung des gemeinsamen Reinigens rief in den Jugendlichen etwas wach, von dem sie vielleicht gar nichts wussten, es ja nicht einmal ahnten. Diese (scheinbar) abgehärteten, sozial schwerstgeschädigten jungen Menschen empfanden das Bedürfnis, sich an der Wand ein Stück heile Welt zu erschaffen – die entstandene (weiße) Leere neu zu gestalten
Putzen und
das Befassen mit Putzen ist mehr als dein Beruf, es ist Deine Berufung meine ich. Du hältst Vorträge zum Putzen auf allen Kontinenten, gibst
Workshops und Seminare und hast mehrere Bücher zu diesem Thema geschrieben, die
in verschiedene Sprachen übersetzt wurden – sogar auf chinesisch. Wie bist Du
überhaupt dazu gekommen?
Ich wollte als Mädchen eigentlich nur
Eines: Hausfrau und Mutter werden! Fulltime. Das Schicksal machte mir einen
Strich durch die Rechnung und ich musste arbeiten. Eine Freundin lud mich zu
einem Bazar bei einer Rudolf-Steiner-Schule ein. Als ich die Schule betrat,
wusste ich intuitiv, dass ich die Schule für meine ungeborenen Kinder gefunden
habe. Zehn Jahre später war es so weit. Der Vater meiner Kinder fand aber, wenn
ich unbedingt eine Privat-Schule für die Kinder haben wollte, soll ich es auch
selbst bezahlen. Daraufhin gründete ich ein Ökologisches Reinigungs-Institut. Mit der Zeit entwickelte ich meine
Arbeitsphilosophie, die das Putzen in Pflegen verwandeln kann und entdeckte
einen deutlichen Impuls für eine Umwandlung im Denken und Handeln, sowie für
ein erweitertes Selbstverständnis der Reinigungsarbeiten.
Was ist das Geheimnis
deines Erfolges, wie schaffst Du es weltweit Menschen fürs Putzen und Ordnen zu
begeistern?
Ich glaube es ist diese Verbindung von
Professionalität und Spiritualität im Alltag. In allen meinen Seminaren putzen
wir gemeinsam, damit die Menschen es selbst erfahren können. Ich habe sehr viel
Erfahrung und kann fast jede Frage mit einer Anekdote aus dem Leben
beantworten. Da finden sich die Menschen wieder und verstehen, dass man sich
sogar beim Klo-putzen entwickeln kann.
Du hast ja bereits im Jahre
1988 das erste ökologische Reinigungsinstitut der Schweiz gegründet. Wie sieht
es denn heute, über dreissig Jahre später mit der Wahl der Produkte aus? Hat
sich hier viel verändert seit deinen Anfängen?
In 1988 steckte die Ökologie noch ziemlich in den Kinderschuhen
und es gab nur wenige Herstellen für ökologische Reinigungsmittel. Heute ist
das ganz anders, aber es gibt immer noch fast keine Firmen in der Schweiz, die
konsequent ökologisch reinigen. In Deutschland ist das schon wesentlich besser.
Ich weiss von wenigsten 10-15 Firmen, die sich bemühen nach meinem Vorbild zu
arbeiten und ich durfte sie dabei unterstützen. Da ich viel weniger reisen
darf, bin ich dabei eine Lern-Plattform mit meiner Arbeitsweise einzurichten
und gebe auch vermehrt Webinars.
Persönlich verwende ich im Laufe der Jahre immer
weniger Reinigungsmittel.
Beim Lesen der Etiketten wurde mir klar, dass die
Wirkstoffe als Rohstoff verwendet werden können. So vermeidet man Verpackungen, Tenside, Konservierungsmittel,
Duftstoffe, Farbstoffe, Verdickungsmittel, etc.
Allgemein bekannt sind:
Säuren für Nassbereiche, Alkalien gegen Fett und alten
Schmutz, neutrale Mittel für alles Andere,
Als Säure verwende ich Zitronensäure, als alkalisches Mittel verwende ich Waschsoda, Allzweckreiniger ist bei mir Wasser und ein gutes Mikrofaser-Tuch und als Scheuermittel verwende ich Wiener Kalk. Ein Desinfektionsmittel zum Händewaschen und putzen für zu Hause mache ich mit einem guten Geschirrspülmittel und ätherischen Ölen.
Schaut euch doch das kleine Video auf meiner Webseite dazu
an: www.lindathomas.org
Putzen ist häufig noch
«Frauenarbeit», langsam trifft man schon mal ab und zu Männer in der
Waschküche, auch das Kochen ist für Männer salonfähig geworden, aber Putzen?!?
Hast Du Tipps, wie das Putzen partnerschaftstauglich werden kann?
REDE DARÜBER!!!!
Reinigung ist immer noch ein Tabu Thema
Eine Frau hofft, dass der Partner spürt, wenn sie Hilfe braucht. Sie meint, dass ein unaufgeräumtes Zimmer die anderen Familienmitglieder geradeso stören würde, wie es sie stört und dass die Anderen es dann von sich aus aufräumen würden.
Das ist meistens nur Wunschdenken! Die Frustration ist somit vorprogrammiert.
Da hilft nur reden, reden und klare Abmachungen treffen. Und sehr wichtig: einigt euch über die Qualität aber lass bitte den Anderen frei in der Art wie sie es erreichen!
Den Stier bei den Hörnern zu packen, kann für alle hochspannend und entspannend zugleich sein. Denn damit schwindet die fast reflexhafte Rechtfertigungshaltung.
Liebe Linda, ich danke Dir für das Gespräch und wünsche Dir weiterhin viel Erfolg mit Deinem Geschäft und alles Gute.
Vielen Dank für das tolle Interview!
Für mich war das Putzen lange Zeit nur ein lästiges Übel - bis ich es aus einem anderen Blickwinkel betrachtete und mit der äusseren Ordnung sich auch eine innere Ordnung herstellte. Wie wahr doch die Aussage von Linda für mich ist, wie das bewusste Wahrnehmen sowie die Selbstwahrnehmung helfen. Wie viele Male hatte ich Etwas schon zum x-ten Mal in den Händen. Erst als ich mich bewusst hinterfragte, wieso dies überhaupt im Raum stehen muss und die Entscheidung zum Aussortieren gefallen war, stellte sich ein wunderbares «Freie-Gefühl» ein – die Gedanken geklärt und wieder «saubere» Luft zum Atmen. Kaum Etwas wird noch zwischengeparkt und damit pflege ich auch mein Inneres und kann Ballast abwerfen.
Im wahrsten Sinne also, ist das Putzen auch ein Pflege der Seele...
Liebe Nora Salaorni
Ihr Kommentar hat mich sehr gefreut.
Weiterhin alles Gute und herzliche Grüsse
Linda Thomas
Halleluja, welch einen Rausch Putzen und Reinigen zur Folge haben kann. Diesen Zustand wünschte ich mir wenigsten einmal, damit er mich infiziert und sich für ewig porentief (r)einnistet. Einen Tropfen von Miraculix Zaubertrank vielleicht, der übermenschliche Kräfte verleiht? Ich will ja nicht gleich einen Feldzug gegen die allgegenwärtigen Wollmäuse und andere hartnäckigen Gesellen anzetteln, nur Zeit gewinnen, die bei meinen Putzorgien ständig aus dem Ruder läuft. Da gehen schnell mal 2 Tage drauf. Alles schön sauber und rein, ein tolles Gefühl aber wo ist nur die Zeit geblieben? Und solange Räume vier Ecken haben wird mich auch das Thema „Jagen und Sammeln“ weiterhin begleiten. Mann sei Dank. Na dann prost Mahlzeit!
Ein solch alltägliches, scheinbar banales Thema auf den Punkt gebracht. Vielen Dank!
Die stetig wiederkehrende Unordnung, von der ich mich zeitweise schon persönlich angegriffen fühle, führt bei mir immer wieder zu Frustration. Lassen die Kinder ihre Sachen eigentlich absichtlich überall liegen und erwarten von mir, dass ich sie wegräume? - Nein, nur ist wohl ihre Wahrnehmung von Ordnung eine andere als meine. Somit sind wir alle angehalten unsere Selbstwahrnehmung zu überdenken und oft ergeben sich dadurch Umgestaltungen von Abläufen oder Organisationssystemen, welche sich dann als viel praktischer erweisen. So ähnlich gestaltet sich bei uns auch das Thema Putzen. Wo Reinigungsarbeiten von den Kindern nur widerwillig ausgeführt werden, hat Putzen für mich (nicht immer) etwas sehr beruhigendes. Nach dem Putzen fühle ich mich auch "gereinigt". So kann ich zum Beispiel beim Putzen gut abschalten oder auch mal "Dampf ablassen" und fühle mich danach wieder ausgeglichen und befreit. Mein Mann weiss um diesen Effekt und macht sich dann auch gerne unsichtbar. Nicht, dass er mich nicht beim Putzen unterstützen würde, nein, er weiss einfach, dass ich dann am liebsten in meinem eigenen Flow bin.
Für mich ist eine saubere Umgebung sehr wichtig, denn dann fühle ich mich wohl und kann dadurch auch viel leisten aber auch Ruhe finden. Aber es muss nicht sein, ich gehöre zu den Menschen die sich immer wieder neu anpassen können und auch in nicht so sauberer Umgebung mich entfalten kann. Für mich hat es daher einen nicht so hohen Wert wie andere Wohnen und ob Sie sauber sind, es ist mehr wie Sie sich geben und mit mir umgehen, dann spielt das Umfeld keine grosse Rolle mehr.
Liebe Verena
Beim Durchstöbern der Artikel stiess ich auf dein Interview und war sehr überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass sich jemand Gedanken macht zur Haltung gegenüber dem "Putzen", darüber Bücher schreibt und Vorträge hält. Den Ansatz Putzen als Pflegen zu sehen finde ich schön. Es fühlt sich anders an. Ich werde das ausprobieren.
Danke für deinen Beitrag. Das war für mich eine echte Entdeckung.
Ich grüsse dich
Claudia