Wort-Allergie

Meta Zweifel, 27.02.2019

Meta Zweifel
Meta Zweifel

Ob es  anderen Leuten auch so geht wie mir – dass bestimmte Worte oder Ausdrücke bei ihnen eine Gänsehaut erzeugen?  Oder müsste ich etwas gegen meine Wort-Allergie unternehmen?

Einen Gänsehaut-Effekt lösen bei mir beispielsweise bestimmte Verkleinerungsformen aus. Also wenn ich dieses lächerliche neureichdeutsche „Hallöchen!“ oder das läppische „Tschüssi!“ höre, treten schon erste Symptome auf. Allerdings neigen auch wir Schweizer zu Verkleinerungsformen, die jedoch oft irgendwo  mit Zuneigung zu tun haben. Die Basler etwa sprechen selbst dann noch liebevoll vom „Drämmli“, wenn sie auf die Basler Verkehrsbetriebe stinksauer sind, und ihr Zoo heisst „Zolli.“ Seltsam, dass der Rollator noch nicht „Tolli“ gerufen wird.

Nehmen wir noch ein „Cüpli“?  – warum nicht, und ein „Schöggeli“ oder ein „Tärtli“ bringen eindeutig weniger Kalorien mit als eine Maxi-Portion, man darf also ungeniert zugreifen. Allergisch reagiere ich jedoch auf den an sich sympathischen Radio-Wettermann, wenn er mir wieder einmal informiert, das Wetter werde sich bald „es birebitzeli“ verändern.

Gegen infantile Kosenamen wie „Müsli“. „Schnäggli“ oder „Chäferli“  Ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Abgesehen davon hat die Kabarettistin Lisa Fitz recht, wenn sie im Zusammenhang mit diesen Kosenamen aus dem Tierreich feststellt, nach einiger Zeit kämen in einer Partnerschaft ohnehin eher Namen von grössern Tieren zur Anwendung....

Das Kosewort „Schätzli“ oder „Schätzeli“ ist hierzulande genauso gängig wie im englischen Sprachraum „Darling“.

Wenn ich „Schätzeli“ höre, denke ich unweigerlich an meine längst verstorbene Schwiegermutter. Sie mag über 80 Jahre alt gewesen sein, als sie ab und zu aus ihrem Leben zu erzählen begann. << Weisst Du, wann ich mich am allerallerglücklichsten gefühlt habe? >>, fragte mich die alte Frau. << Einmal hob mich meine Mutter hoch, setzte mich auf ihren Schoss, hielt mich umfangen und sagte „Du liebs Schätzeli Du“. >> Damals spürte ich, wie sich eine Gänsehaut auf mir ausbreitete, die mit Rührung und Mitgefühl zu tun hatte: Ein langes Leben – und, mein Gott,  ein einziger Augenblick des fraglosen, ungetrübten und lautersten Glücks. Das Gefühl des völligen Wahrgenommenseins und Angenommenseins – kommt es tatsächlich so selten vor in eines Menschen Leben?

Dieser Tage hatte ich wieder einmal eine heftige Gänsehaut-Attacke. Sie ist durchaus nett, diese Frau, die mich anrief und sich liebenswürdig nach meinem Befinden erkundigte. In leicht therapeutisch marmoriertem Tonfall teilte sie mir mit, dass es doch schön wäre, wen wir wieder einmal miteinander „pläuderlen“ könnten.

Gänsehaut total: Ich will NICHT pläuderlen! Ich will etwas von meinem Gegenüber erfahren, will mich mitteilen, ich möchte Meinungen hören und erfahren, wie der oder jener sein Leben meistert, mit Turbulenzen umgeht, was er liest oder plant oder denkt, über was er oder sie sich freut oder ärgert. Selbstverständlich kommt es bei einer kurzen Begegnung im Supermarkt oder in der Konzertpause oder im Wartezimmer des Arztes nicht zu tiefgründigen Gesprächen. Aber wenn etwas mehr Zeit zur Verfügung steht, will ich nicht pläuderlen, sondern reden. Ich habe schon viel zu viel Zeit in meinem Leben mit Geschwätz vertan. Jetzt will ich weder twittern noch facebooken. Und – brrrr! – schon gar nicht pläuderlen.          

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