Monika Hengartner, 21.03.2018
Die Sitzung war anstrengend und intensiv. Irene überdenkt das eben Erlebte für sich nochmals: „Mangeldenken! Einmal mehr! Ungeprüft akzeptieren! Die Fülle nicht erkennen.“ Zuerst ist sie empört und dann einfach dankbar und froh, dass sie den Raum verlassen und nach draussen gehen kann. An die frische Luft. Doch da bläst ihr ein eisiger Wind entgegen. Es ist ein später Wintertag, der Himmel grau verhangen über ihr. Die junge Frau spürt den schneidend scharfen, kalten Wind. Sie überlegt kurz und entscheidet, vor dem nächsten Termin in einem gemütlichen Café noch etwas zu essen. Sie legt den Schal enger um den Hals und zieht die Mütze über die Ohren.
Mit zügigem Schritt macht sie sich auf den Weg. Da hört sie Geigenklänge. Völlig unerwartet. Und schon erblickt sie den Spieler. Ein Mann, mittleren Alters, wohl slawischer Herkunft, sitzt mit nur einer dünnen Isoliermatte auf dem nackten Strassenboden. Vor sich aufgestellt hat er den offenen Geigenkasten und darin klebt gut sichtbar die Fotografie eines Kindergesichtes. Der Mann hat ein ewiges Lachen auf dem Gesicht und spielt. Trotz Kälte und Wind. Die Frau ist irritiert. Doch sie geht weiter, ohne den Schritt zu verlangsamen, hin zu ihrem erstrebten, wärmenden Ziel.
Das Essen schmeckt, die Atmosphäre ist angenehm und ruhig. So kann man wieder zu sich finden. Sie stärkt sich und ist so wieder bereit für ihre nächsten Aufgaben. Zuversichtlich verlässt sie das Lokal. Den Geigenspieler hat sie vergessen.
Doch da ist er wieder und spielt noch immer. Am selben Ort wie vorher. Die Kraft, trotz Frost zu spielen, der Wille, das Eigene zu tun und die Ausdauer beeindrucken sie. Sie bleibt stehen. Klaubt eine Münze aus dem Geldbeutel. Sie bückt sich, legt ihre Gabe in den Geigenkasten, ist erstaunt, wie leer dieser ist und sucht den Blick ihres Gegenübers. Sie möchte ihm Dank und auch Zuversicht zufliessen lassen. Der Mann spielt und lacht und schaut sie kurz an. Und dann schnell weg. Sie spürt einen Schmerz in ihrem Herzen. Sie fühlt sich hilflos. Der Mann spielt weiter. Gleichmütig. Eine helle, beschwingte Melodie. Und sie entfernt sich. Das Zusammengehören von Mangeldenken und fehlender Fülle, die ihr in der Sitzung so klar vor Augen waren, kommt ihr in den Sinn. Nach der nächsten Wegbiegung erblickt sie dankbar einen Baum. Sie stellt sich in dessen Windschatten und atmet. Ruhig und tief. Die Gedanken und Gefühle beginnen sich wieder zu ordnen. Dann rafft sie Schal und Mantel und geht ihren Weg.
Liebe Monika
Deine Geschichte tut mir gut! Es geht um die Musik, ihre magische Wirkung auf die Protagonistin in deinem Text. Musik hat eine ganz besondere Wirkung auf Menschen, von ihr geht eine unsichtbare Kraft aus, die uns unter anderem fröhlich, traurig oder nachdenklich stimmen kann. Musik fördert weiterhin den sozialen Zusammenhalt und vermag es, Rituale mit einer spirituellen Bedeutung aufzuladen. Für die meisten Menschen ist ein Leben ohne Musik deshalb schlichtweg undenkbar.
Ich lese deine Zeilen – und der Klang der Geige ist in mir.
Liebe Monika
Dein Beitrag wärmt mir das Herz.Im Wissen wie sich das Mangeldenken auf das eigene Leben auswirkt und was jeder einzelne Mensch daraus machen kann. Gerade wird mir bewusst wie ich mich selber noch immer ertappe wie meine Gedanken mich führen. Es ist mir Bewusst wie dies funktioniert. Ich durfte zuerst an meinem Selbstvertrauen arbeiten und mein ganzes Leben umstellen. Nun kommt das mit den Gedanken. Und verflixt nochmal wieder hineingefallen. Und doch auch immer wieder Lichtblicke und positive Erfahrungen stärken mich auf meinem Weg. Kleine Dinge wie die Achtsamkeit eines Menschen oder ein Vogelgezwitscher am Morgen bringen mich zum lächeln. Alleine auf meinem Weg aber nicht alleine im Leben. Ich fühle mich geliebt und getragen wie noch nie zuvor. Ein Glücksgefühl und Freude zu spüren, dass hinsehen im eigenen Leben vieles zum guten Verändern. Wir alle hier auf Erden sind da um uns zu erfahren und uns zu verändern. In diesem Sinne alles Liebe wünscht euch Ursula