Der Weg zu sich selbst

Silvia Trinkler, 22.03.2018

Sie joggte fürs Leben gern. Das Laufen hatte sie in den letzten Monaten neu entdeckt. Es war der Weg zu sich selbst – in jedem Sinn. Es war der Kampf gegen ihre Rundungen, sie konnte frei denken und die Ideen flogen ihr nur so zu. Als Jugendliche hatte sie Fussball gespielt, nahm an Orientierungsläufen teil und war bei den Pfadfinderinnen aktiv. Damals war sie immer in Bewegung. Das änderte sich vor dreissig Jahren. Mann, Kinder, Teilzeit-Arbeit, wie das der Plan der 60-iger Jahr Geborenen verlangte. Aber jetzt wollte sie sich wieder spüren. Die Töchter waren aus dem Haus, der Mann auf Abwegen und sie auf dem Weg zu sich. Die Kondition und das Selbstbewusstsein mussten noch gefestigt werden. Die tägliche Bewegung half ihr den Kopf frei zu bekommen und Herz und Körper auf Vordermann zu bringen.

Die Tage waren kurz und es dämmerte früh. Trotzdem war sie unterwegs. Ihr Mann lachte sie aus, als sie sich über die gespenstische Dunkelheit im Wald äusserte: „Suchst du einen Grund um aufzugeben? Oder denkst du Frauen in deinem Alter seien Zielscheiben von Lustmolchen?“ lächelte er spöttisch ‚Dem zeig ich‘s!‘ dachte sie und rannte in die diffuse Ungewissheit. Sie fühlte den Pulsschlag, das Klopfen des Herzens und den müden erschöpften Körper. Das prickelnde Gefühl, als Belohnung bald unter der warmen Dusche zu stehen, trieb sie an. ‚Er hatte recht, wieso sollte mir jemand auflauern? Auf mich wartet schon lange niemand mehr.‘

Was war das?‘ Ihr Herzschlag stockte. Sie drehte sich kurz um, aber neben dem dunklen Waldweg sah sie nur die schwarzen stumm in den Himmel ragenden Tannenbäume.

‚Da, schon wieder. Umdrehen – unauffällig, kurz. Nur nicht stolpern. Genau! Ein Schatten, weit hinten. Keine Dämonen heraufbeschwören. Atmen, laufen – schnell. Konzentrier dich auf deine Füsse.’ führte sie ihren inneren Monolog fort.

‚Gespenster haut ab! Gleichmässig atmen – bewusst lange Schritte. Wär doch gelacht. Tempo zulegen.‘ spornte sie sich an.

Doch der Schatten kam näher. Schwarz. Schnell. Unaufhaltsam.

Verdammt warum habe ich mich auslachen lassen? Ein Fuss vor den Anderen. Konzentrier dich!‘ Herzrasen bis in die Wangen. ‚Au, diese brennenden Oberschenkel.

Jetzt hörte sie die federnden Schritte ihres Verfolgers.

Lauf.‚ peitschte sie sich vorwärts.

Du weisst der führt nichts Gutes im Schild. Du spürst seine aggressive Ausstrahlung!‘

Die Nackenhaare standen ihr zu Berge.

‚Herrgott-noch-mal! Warum schaue ich immer so grauenvolle Krimis?‘

Sie stolperte.

‚Lauf! Renn!

Sein Atem ging laut und gleichmässig. Oder war es ihrer? Ihre Wahrnehmung war getrübt. Das Herz dröhnte bis in die Schläfen.

„Hallo! – Hallo Sie!“

‚Renn, renn um dein Leben! Jetzt!‘

„Hallo – Entschuldigung!“

Hä? Entschuldigung was? – Lauf!‘ … Ruckartig drehte sie ihren Kopf zu ihm:

„Was wollen Sie?“ keuchte sie. 

„Ihre Art zu laufen kommt mir bekannt vor…“

Abrupt blieb sie stehen und japste: „Wer sind Sie?“

„Entschuldigen Sie… ich bin einfach meinem Herz nachgerannt, weil das Gefühl aus meiner Jugend mich trieb… ich wollte Sie nicht erschrecken! Aber auch Ihre Stimme ähnelt der jungen Frau von damals…“

„Pfadi Horgen?“… ohne zu überlegen waren ihr diese zwei Worte herausgerutscht.

„Hmhm… Du hattest immer so süsse Grübchen in den Wangen…“

„Die habe ich heute noch….“ Stotterte sie und ihr Herz geriet ins stocken.

Autorinnen

Batliner Benita

Batliner Benita

Büchel Neuhold, Elisabeth

Büchel Neuhold Elisabeth

Dressler Birgit

Dressler Birgit

Hengartner Monika

Hengartner Monika

Keller Eveline

Keller Eveline

Klassen Anna

Klassen Anna

Gaby Kratzer

Kratzer Gaby

Petra Lienhard

Lienhard Petra

Lüthi Verena

Lüthi Verena

Marti-Neuenschwander Monika

Marti-Neuenschwander Monika

Julia Onken

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Beatrice Stössel

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Silvia Trinkler

Trinkler Silvia

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