Er nannte sie zärtlich sein Knuddelmäuschen

Verena Lüthi, 24.06.2018

„Jetzt reicht’s“, sagte sie und beschloss, selbst die Initiative zu ergreifen. Sie meldete sich kurzentschlossen bei einer Paarvermittlung an. Neugierig öffnete sie auf dem Computer die Datei und erblickte die lange Liste von potentiellen Anwärtern, die ebenfalls darauf warteten, von ihrer Einsamkeit erlöst zu werden. Sie sortierte den ganzen Männerberg erst einmal nach Übereinstimmungspunkten. Entschlossen öffnete sie den Glücklichen mit der höchsten Übereinstimmungsquote. Mit ihm müssen sie unbedingt Kontakt aufnehmen, ihre Übereinstimmung ist phänomenal….hiess es. Nach einer Woche ohne Reaktion, ging sie davon aus, etwas stimme mit der Computertechnik nicht. Aber dann, siehe da, endlich: Sie haben eine neue Mitteilung! Ingenieur, 68 liess sie wissen: Sorry, bin frisch verliebt. Das wars also.

Na ja, es gibt ja noch andere, tröstete sie sich, klickte durch die verschiedenen Exemplare Männer und wunderte sich über die Fitness älterer Herren, die sich fast allesamt zu einem begeisterten Heer von Velofahrer, Wanderer, Jogger und Skifahrer entpuppten. Es kamen vier weitere Nachrichten, drei davon sperrte der Betreiber grad wieder, weil sie im Unseriös-Filter hängen blieben. Dann endlich, Kurt aus G.! Sie schaffte es sogar bis zu einem Telefongespräch. Ihre anfängliche Nervosität verflog schnell, als sie feststellte, dass sie früher in der gleichen Stadt lebten. Das war aber auch schon alles. Der Nächste wollte die langweilig gewordene Beziehung quantitativ korrigieren, offensichtlich brauchte er mittlerweile zwei 60-Jährige um auf seine Rechnung zu kommen.

Endlich kam er, zehn Jahre älter als sie: Eine Sportskanone, die einem Dreissigjährigen noch das Fürchten beigebracht hätte! Beim ersten Date trafen sie sich im Schwarzwald. Sie stellte fest, dass er nicht nur sportlich fit wie ein junger Gott war, er sah auch entsprechend gut aus!

An einem heissen Sommersonntag schlenderten sie bereits verträumt Händchen haltend wie hunderte andere verliebte Paare, durch die sommerlich blühende Stadt. Er nannte sie zärtlich sein Knuddelmäuschen. Der Abschied fiel ihr schwer, aber mit der Gewissheit im Herzen, den Einen, Einzigen gefunden zu haben, stieg sie, nein, schwebte sie am Abend in den Zug.

In den folgenden Wochen erlebte sie eine intensive Zweisamkeit mit ihm. Bis tief in die Nacht telefonierten sie miteinander, plauderten über Liebe, Gott und die Welt. Kurz – sie war verliebt.

Sie ignorierte ihre im Netz ungeduldig scharrende Fangemeinde, konzentrierte sich nur noch auf ihn. Dann aber teilte er ihr mit Bedauern mit, dass seine Exfrau bei ihm aufgetaucht sei und er mit ihr nochmals einen Anfang machen wollte. Sie war am Boden zerstört und ihr sonst gesunder Menschenverstand verabschiedete sich. Nur so war es zu verstehen, dass sie ihm diese Ausrede auch noch glaubte.

Es folgten noch ein paar kurze Kontakte, nochmals keimte leise Hoffnung auf, aber schliesslich platzte sie wie Seifenblasen im Wind. Sie musste sich wohl oder übel damit abfinden, dass ihr Jahrgang einfach nicht mehr gefragt war und als netter Zeitvertreib wollte sie sich nicht mehr zur Verfügung stellen:

 „So nicht meine Herren, dann lieber allein! Mit welchem Recht mutiert ihr uns ehemals Gleichaltrige plötzlich zu euren Müttern und Grossmüttern? Und ehrlich, so ohne sichtbare Folgen der Schwerkraft seid ihr auch nicht mehr. Wenn ihr glaubt, eine stramme Vierzigjährige treibe euch auch in zwanzig Jahren noch von einem Höhepunkt zum nächsten, wird euch das Leben schon eines Besseren belehren. Wisst ihr was, ihr könnt mich mal und das kreuzweise!“

Kurz vor ihrem 64. Geburtstag beschloss sie, ihr Abonnement zu kündigen und zukünftig trotz allem beschwingt und freudig als 64-jährige Single allein durchs Leben zu wandeln.

Sie hatte sich gerade so gut mit sich angefreundet, als sie mit ihrer Wäsche unterm Arm pfeifend in die Waschküche ging. Doch die Waschmaschine war besetzt und drehte unbekümmert ihre Runden. Wer wagt es, an ihrem Waschtag, die Maschine zu blockieren?

Sie war verärgert und überlegte, wie sie den Sünder ausfindig machen könnte, aber da sprang die Türe auf und ein älterer Mann stand vor ihr: „Entschuldigen sie, ich wusste nicht, dass die Waschmaschine so lange wäscht, ich dachte, es sei nach zehn Minuten alles erledigt.“  Sie plauderten und warteten, bis sein Waschgang fertig war.

Und dann sagte er ganz nebenbei: „Wollen wir heute Abend zusammen ein Glas Wein trinken, als Wiedergutmachung sozusagen? Sie kennen bestimmt ein nettes Restaurant in der Nähe?“

Klar. Sie wollte. Sie würde zu spät zur Arbeit kommen – aber egal.

Autorinnen

Batliner Benita

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Büchel Neuhold, Elisabeth

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Dressler Birgit

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Hengartner Monika

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Keller Eveline

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Klassen Anna

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Gaby Kratzer

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Petra Lienhard

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Lüthi Verena

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Marti-Neuenschwander Monika

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Julia Onken

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Beatrice Stössel

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Silvia Trinkler

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