Silvia Trinkler, 18.04.2018
Mein Beruf bringt es mit sich, dass ich oft samstags arbeite. Wie damals im Mai. Ein wunderbarer Frühlingsmorgen. Die Natur ist so richtig im Saft und die Werktätigen sitzen zuhause am Frühstückstisch. Demzufolge herrscht wenig Verkehr auf der Straße und der Tag wirkt noch richtig frisch. Das mag ich.
Regula – meine Fahrschülerin ist nicht mehr ganz jung – auf die Führerprüfung bezogen. Sie ist etwas über dreissig, lebt mit ihrem Partner zusammen und arbeitet als Kinderkrankenschwester. Eine durch und durch ernst zu nehmende Persönlichkeit. Seriös hat sie sich auf die Führerprüfung vorbereitet und fährt vorausschauend und zügig. Nächste Woche ist es so weit.
Das Lichtsignal schaltet auf grün. Regula startet. Der Kupplungsfuss schnellt über den Schleifpunkt und das Auto macht einen Hüpfer und gleich noch einen zweiten. Der Hintermann ist uns aufgefahren. Verdammt!
Im Rückspiegel sehe ich den tannengrünen Jaguar. Muss das sein? Ich weiss genau jetzt fangen die Diskussionen an: - Spinnt ihr eigentlich einfach anzuhalten wenn es grün ist?
- Warum müsst ihr Fahrlehrer auf der Straße unterwegs sein? Geht auf einen Platz zum üben.
- Mein tolles Auto ist erst zwei Wochen alt. Hoffentlich habt ihr eine gute Versicherung!
Solch unqualifizierte Sprüche kenne ich. Jeder Fahrlehrer ist irgendwann in einen Auffahrunfall verwickelt und die Unfallverursacher realisieren nicht warum wir ein „L“ haben. Vor allem erinnern sie sich nicht, dass sie auch einmal fahren gelernt haben. Sie waren Naturtalente! - Auto fahren hat aber nicht sehr viel mit der Natur zu tun.
Missmutig steige ich aus. Regula habe ich zuvor beruhigt. Sie macht sich Vorwürfe – typisch Frau! Der Jaguar-Fahrer steigt aus seiner Karosse. Groß und schlank, gut aussehend, top gekleidet. So gegen die Vierzig. Genau! Das passt! Der wird mich jetzt grad anschnauzen mit seinen blöden Floskeln. Nein! Er ignoriert mich und marschiert geradewegs auf die Fahrerseite meines Wagens zu und öffnet Regulas Tür. So ein Arsch! Geht’s dem noch! Meine Schülerin beschimpft der nicht. Nicht mit mir! Aufgebracht bewege ich mich zum Ort des Geschehens. Und da höre ich ihn: „Es tut mir so leid! Sie können gar nichts dafür! Das muss für sie furchtbar sein in der Fahrstunde in einen Unfall verwickelt zu sein. Entschuldigen Sie.“ Sprachlos – und das will etwas heissen – bleibe ich stehen. Ich trau meinen Ohren nicht.
Wir fahren zur Seite und erledigen den Papierkram. Der Schuldige zückt seine Visitenkarte. Jurist! Jurist? ... ich habe nichts gegen Juristen. Aber auch da muss ich mich an der Nase nehmen.
Der Schaden ist nicht gross und wir können die Fahrstunde fortsetzen. Nachdenkliches Schweigen. Plötzlich meint Regula: „Hätte ich nicht einen Freund, würde ich von diesem Mann die Handynummer wollen!“ – Meine seriöse Regula? Solche Gedanken nach einem Unfall? Ich erwidere:“ Regula, wäre ich 20 Jahre jünger würde ich sie selber brauchen wollen ...“ Wir brechen in schallendes Gelächter aus. Die Anspannung ist weg und der Frühlingsmorgen zurück.
P.S.: Zwei Wochen später erhalte ich von dieser Samstag-Morgen-Bekanntschaft ein Mail. Er will wissen wie Regulas Führerprüfung verlaufen ist. Hätte sie nicht bestanden, würde er gerne die Prüfungskosten übernehmen. Freudig schreibe ich ihm zurück, dass alles gut gelaufen sei und dass nicht nur Regula bei diesem Unfall etwas gelernt habe.