Elisabeth Neuhold Büchel, 22.10.2018
Sehr geehrter Herr Fischbacher
Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich dafür
bedanken, dass ich mich bei Ihnen vorstellen durfte. Natürlich hoffe ich, dass
ich Sie von meiner Kompetenz, meinem Sachverständnis sowie von meinen positiven
Charakterzügen überzeugen konnte und Sie zum Schluss kommen, mir die Stelle als
stellvertretender Hauswart in unserer Wohnsiedlung zu geben. Sollten Sie noch
Zweifel haben, möchte ich hiermit schriftlich noch einige Ergänzungen
anbringen.
Wie ich feststellen musste, waren Sie ja heute Morgen etwas unter Zeitdruck und ich sah mich genötigt, ihnen meine Qualitäten leider nur unvollständig zu unterbreiten. Selbstverständlich habe ich dafür vollstes Verständnis, möchte aber dennoch auf ein paar nicht unerhebliche Eigenschaften meiner Person hinweisen, damit Sie möglichst rasch zu einer Entscheidung gelangen und Ihre wertvolle Zeit nicht mit weiteren Kandidaten vergeuden müssen. Und ich mit weiteren Bewerbungsschreiben.
Ich bin mir unsicher, ob Sie aufgrund unseres Gesprächs erfassen konnten, dass ich erstens: von sehr friedlicher Gemütsart bin, nicht schwatzhaft und absolut diskret, zweitens über eine ausserordentliche Beobachtungsgabe verfüge und drittens eine äusserst tolerante Persönlichkeit bin. Ja, Toleranz gehört sozusagen zu meinen grössten Stärken.
Wie Sie wissen, habe ich bis vor Kurzem an einer Schule gearbeitet und ich möchte noch einmal betonen, dass ich mich schweren Herzens, aber einvernehmlich von meinen bisherigen Arbeitgebern, den Schulbehörden getrennt habe und freiwillig in den Status der Frühpension übergetreten bin. Sollten Sie eine Referenz einholen, wird Ihnen Herr A. Muggli bestätigen, dass ich stets zuverlässig und pflichtbewusst war und weder Überstunden – die ich wohlgemerkt nicht alle aufgeschrieben habe – noch Zusatzaufwand gescheut habe. Ich war einer, der mitdachte und nicht ausschliesslich nach Pflichtenheft gearbeitet hat und betrachte mich diesbezüglich als Ausnahmeerscheinung. Ohne meine Mitarbeiterinnen anschwärzen zu wollen, wie gesagt ich bin sehr tolerant, möchte ich doch anmerken, dass Frauen weniger dazu bereit sind, das Gemeinwohl an erste Stelle zu setzen und eigenständige Entscheidungen zu treffen oder wenn nötig auch einmal durchzugreifen.
Wissen Sie, wenn man so wie ich über drei Jahrzehnte als rechte Hand der öffentlichen Hand sozusagen gearbeitet hat und den ganzen Tag über vierzig Wochen im Jahr von Kindern und Lehrern umgeben war, lernt man vor allem Eines: Toleranz und Nachsichtigkeit. Oh ja! So habe ich es zum Beispiel immer geduldet, wenn gewisse Lehrerinnen (ich nenne jetzt keine Namen) die Kinder nicht konsequent angehalten haben, den Hauswart zu grüssen. Ich habe auch nichts gesagt, dass im Flur trotz feuerpolizeilichem Verbot stets Zeichnungen aufgehängt wurden, dass die Eingangstüre mit Klebstreifen verunstaltet oder die neue Betonwand beim Parkplatz mit Comicfiguren bemalt wurde. Ich habe es stets gebilligt, dass die Velos nicht korrekt im Ständer abgestellt wurden und manche Lehrerkräfte ihr Fahrrad nicht abgeschlossen haben. Ebenso habe ich akzeptiert, dass gewisse Schüler auch nach Schulschluss noch vor dem Schulhaus herumlungerten. Ich meine, was können Kinder dafür, wenn gewisse Mütter (auch an dieser Stelle nenne ich keine Namen) ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen?
Da gab es ganz wenig, wo ich kraft meines
Amtes und im Interesse der Allgemeinheit, sprich dem Steuerzahler, stopp sagen
musste. So habe ich zum Beispiel im Werkraum sämtliche
Holzbearbeitungsmaschinen auf Ebay verkauft und mit dem Geld eine stromsparende
Kärcher Scheuersaugmaschine BR30 angeschafft. Damit konnte ich sowohl den Stromverbrauch
massiv senken als auch einige Arbeitsstunden der Putzfrauen einsparen. Oder ich
habe die Schaukel – wohlverstanden an einem Samstag – abmontiert, um die Kinder
weniger in ihrer Bewegungsfreiheit auf der Pausenwiese einzuschränken. Dank
dieser Massnahme habe ich zehn Minuten beim Rasenmähen eingespart, das macht
auf ein Jahr drei bis vier Arbeitsstunden und vier Komma zwei Liter weniger
Benzinverbrauch. Als kleiner Nebeneffekt habe ich die Verletzungsgefahr der
Kinder minimiert. Die Heizkosten konnte ich auch beinahe halbieren, indem ich
die Temperatur in den Schulzimmern auf 18 Grad justiert und in der Turnhalle
und im Lehrerzimmer die Heizkörper auf das Minimum eingestellt habe. Im
Gegenzug habe ich den Lehrkräften zugestanden, während der Kaffeepause eine
Jacke zu tragen.
Ab und an ein Auge zudrücken, das ist genau meine Stärke. Aber beide Augen, nein das geht gar nicht. Auch der duldsamste Hauswart muss in der Lage sein, sein Veto einzulegen, wenn es denn wirklich zu viel ist. So musste ich im Juni, noch während meiner letzten Arbeitswoche einem jungen Lehrer klarmachen, dass auf dem Schulareal kein Indianertipi aufgestellt und schon gar nicht übernachtet wird mit der Klasse. Ich meine, eine Schulanlage ist doch kein Campingplatz. Aber zu seiner Frisur habe ich nie, wirklich nie ein Sterbenswörtchen gesagt, obwohl, seine Meinung darf man ja haben. Den Wasserverbrauch konnte ich um 17 Prozent senken, indem ich drei von fünf Toiletten abgesperrt und den Hahn beim Trinkbrunnen auf dem Spielplatz nur aufdreht habe, wenn es ausdrücklich von jemandem gewünscht wurde.
Dies waren nur ein paar Beispiele, anhand
derer Sie sich von meinem Pflichtbewusstsein und meiner Rechtschaffenheit
überzeugen können. Ich bin überzeugt, dass ich Ihnen hiermit die Entscheidung
erleichtern werde. Als Neuzuzüger habe ich in der Zeit, seit ich in hier im
wunderschönen Lindenpark Mieter bin, schon Einiges an Verbesserungspotential
ausmachen können. Ich denke da zum Beispiel an den kaum benutzten Spielplatz,
die Hundebesitzer in Block C, die Ordnung in den Kellerabteilen oder an die
Situation auf den Besucherparkplätzen. Nicht zu vergessen: Dass einige Leute
(Sie wissen, wen ich meine) das Gefühl haben, sie könnten auf der Terrasse
Abend für Abend grillieren und im Winter sogar einen Heizstrahler aufstellen
oder im Eingangsbereich ihre Kinderwagen parkieren, stellt eine massive
Beeinträchtigung des allgemeinen Wohlbefindens dar.
Auch ist mir nicht
entgangen, dass an der hinteren Hausfassade von Block B schon ein paar kleine
Risse sichtbar sind und dass ein gewisser Herr (ebenfalls aus Block B) seine Winterpneus entgegen der Hausordnung in
der Tiefgarage deponiert. Wie ich Ihnen schon beim Gespräch versichert habe: Noldi kanns richten!
Gerne verzichte ich auf meine Frühpensionierung (es gibt ja schliesslich schon
genug Individuen, die der Allgemeinheit auf der Tasche sitzen) und stelle meine
Kompetenzen meinen unzulänglichen Nachbarn sowie Ihnen, geschätzter Herr
Fischbacher, zur Verfügung.
Gerne gestehe ich ein paar Tage Bedenkzeit zu, freue mich aber, bald von Ihnen zu hören und verbleibe bis dahin
Mit freundlichen Grüssen
Arnold Langenegger