Werner Brechbühl, 22.02.2018
Ich bin im Paradies. Eine Savannenlandschaft. Adam und Eva stehen im hüfthohen Gras. Sie, spitznasig und wildhaarig, hat die Arme vor den Brüsten verschränkt und blickt ihn an. Ihre Augen stechen. „Und ich will die gleichen Rechte haben wie du!“, fordert sie von ihrem Mann. Er, ein wenig kleiner als sie und bereits mit Bauchansatz, verdreht die Augen gen Himmel und denkt: „Das fängt ja gut an...“ Knapp über ihren Köpfen ringelt sich die unselige Schlange um einen Ast des Erkenntnisbaumes und grinst sich eins. Ich grinse auch.
Szenenwechsel. Diesmal bin ich in einem Rentenbüro. Durch die offene Türe bekomme ich mit, wie eine ältere, rundliche Frau mit Hut und Handtasche dem glatzköpfigen Beamten aufzählt: „Erst habe ich meine vier Kinder grossgezogen, dann die drei Enkel, dann habe ich mich um Obdachlose und Arme gekümmert und schliesslich meinen alten Vater bis zuletzt gepflegt...“ Ohne aufzublicken kreuzt der Beamte auf dem Formular vor sich irgendetwas an und meint: „Sie haben also nie gearbeitet.“ Mir vergeht das Lachen.
Das sind zwei Cartoons zum Weltfrauentag, treffend gezeichnet.Liebe Eva, die gleichen Rechte hast du. Gleichberechtigung garantiert dir heute das Gesetz. Bei der Gleichstellung der Frau hingegen liegt noch manches im Argen. Was ist hier zu tun? Ich google die Liste von Aktions- und Gedenktagen und bin baff: Es gibt keinen Tag im Kalenderjahr, an dem man nicht aufgefordert wird, an irgendetwas zu denken und/oder sich dafür einzusetzen. Am 5. Februar zum Beispiel ist der internationale Nutella-Tag. Süss, nicht wahr? Am 8. März ist der ebenso internationale Weltfrauentag, der 1997 durch die Vereinten Nationen ausgerufen wurde. Da passt wohl ein anderes Adjektiv besser, und über die Gewichtung der beiden Tage muss kaum diskutiert werden. Ich google weiter. Der Ursprung des Weltfrauentages vor gut hundert Jahren ist mir bekannt. Doch nun lese ich männerverachtende Kolumnen. Ich sehe auf Gedenkkarten barbizepsige Frauenarme emporgereckt mit martialisch geballten Fäusten. Oder: Eine stramme Frau haut einem Mann eine runter mit den Worten: „No! YOU make me a sandwich!“ Und weiter: „Als Gott den Mann schuf, hat sie nur geübt.“ Ich höre auf zu googeln. So wird der Weltfrauentag zu einem blossen Kampf- und Befreiungsrundumschlag, an dem ich mit veralteter feministischer Rhetorik aufgefordert werde, de- und reumütig an all das Schlimme zu denken, das „wir“ Männer den Frauen angetan und damit nicht aufgehört haben. Doch Frauen sind nicht nur Opfer von Männern, vor allem wenn es um Ausbeutung geht. Auch Männer sind davon betroffen. Ausbeutung ist nicht lediglich eine Frage des Geschlechtes, sondern vor allem des Geldes, des Ansehens und der Macht.
Zurück zum 8. März. Just an diesem Tag findet nach meinem Erachten eine bedauerliche Abwertung des Frauseins statt. Und es sind Frauen, die dies tun. Dazu eine kleine Episode, diesmal kein Witz: Kürzlich traf ich ein Ehepaar, das ich von früher flüchtig kannte; er ein erfolgreicher Jurist mit eigener Kanzlei, sie eine ebenso erfolgreiche Kaderfrau in einem Grossbetrieb, beide anfangs vierzig und voll berufstätig. Ob sie Kinder hätten, war meine Frage. Ja, eines, meinte die Frau, es gehe ihm gut. Nun hätten sie noch ein zweites geplant und deshalb schon mal vorsorglich einen Kitaplatz reserviert. Ich habe mich rasch verabschiedet.
Wenn ich meinem inzwischen rasanten inneren Dialog zuhöre, werde ich den Verdacht nicht los, dass es für diese Frauen keine Artgenossinnen mehr geben sollte, die mit ihrer Arbeit als Hausfrau zufrieden sind und sich wohlfühlen in der natürlichen Mutterrolle. Dass sie hoffen, solche „unemanzipierten“ sprich blöden Frauen würden endlich von der Bildfläche verschwinden. Dass sie mir einbläuen wollen, alles, was ich mit typischer Weiblichkeit in Verbindung bringe, sei pfui. Reinhard Mey hat in einem seiner frühen Lieder („Annabelle“) zu diesem Thema gesungen: „... und zum Zeichen deiner Emanzipation beginnt bei dir der Bartwuchs schon.“ Seine Botschaft kommt bei mir an, obschon ich mir das nicht allzu bildlich vorstellen möchte. Für mich dürfen Frauen schön, begehrenswert und auch sanft und weich sein. Ich schätze sie, wenn sie fürsorgliche Mütter sind, häuslich, sich um ihre Kinder sorgen, ihre Männer unterstützen und dabei glücklich sind. Und sie dürfen sich von mir aus auch schön machen. Für ihre Männer. Oder für andere. Und natürlich für sich selbst.
Die Welt ist ungerecht, was die Gleichstellung der Frau betrifft. Das ist eine unbestrittene Tatsache. Der Cartoon vom Rentenbüro zeigt es beispielhaft und drastisch. Aber die Welt wird nicht besser, wenn man die Geschlechter gegeneinander ausspielt. Männer und Frauen vereint im Getrenntsein? Da hilft auch ein Weltfrauentag nicht weiter.Was meinst du dazu, Eva? Ich würde dich gerne mal anrufen und hoffe, dass sich dann nicht nur deine Telefonbeantworterin meldet.
In dieser Kolumne wird das Thema "Emanzipation" mit treffenden Beispielen bildhaft dargestellt und die komplexe Problematik mit viel Umsicht, unparteiischem Einfühlungsvermögen und gesundem Menschenverstand gekonnt umschrieben. Das animiert zum Nachdenken und fordert dazu heraus, Stellung zu nehmen. Die Kolumne liest sich "süffig" und unterhaltsam. Sie macht Freude, weckt Neugier und Lust darauf, weiter über das brisante Thema zu diskutieren...
OK, ich verstehe, typisch weiblich besteht aus sanft, weich, fürsorglich dann noch umsorgend und zu guter Letzt unterstützend.
Exakt die passende Partnerin für den mitten im Leben stehenden Mann und zudem das Bild einer Mutter die selbst bewusste Töchter heranzieht.
Ich hielt den Weltfrauentag als ein Relikt aus früheren Tagen. Die vorliegende Kolumne zeigt mir, dass dem nicht so ist.
Herr Brechbühl, ihr Artikel zeigt sehr genau die noch stete Dringlichkeit feministischer Aktionen, wie etwa der Weltfrauentag einer ist.
Ich stimme ihnen zu, dass es keinen Sinn macht, wenn plötzlich alle Frauen zu verkappten Männern werden. Wo kämen wir da hin? Tausende von Jahren Menschheitsgeschichte hat gezeigt, dass das Idealisieren von männlichen Attributen uns nicht weiter gebracht hat sondern uns abscheuliche Kriege, ein riesiges Gefälle zwischen Reich und Arm und eine fette Klimakriese beschert haben. Dass sie von all den Gedenkkarten zum Weltfrauentag ausgerechnet das der barbizepsige und strammen Frauen beschreiben hinterlässt bei mir den Eindruck, dass sie alles etwas ins Lächerliche ziehen oder aber gekränkt über die männerverachtenden Äusserungen sind. Es zeigt jedenfalls wieder, wie eine Frau in unserer Gesellschaft zu sein hat. Nämlich schön, begehrenswert, sanft und weich. Das Equivalent dazu, den erfolgreichen und starken Mann, gibt es übrigens auch. Gerade deshalb braucht es Tage wie etwa der Weltfrauentag um die Gleichstellung zwischen Mann und Frau, zwischen männlichen und weiblichen Eigenschaften zu fordern. Um für die Freiheit zu kämpfen, dass alle Menschen, egal ob Frau, Mann, Quer, Trans, sein dürfen, wie sie sind. Um sich dafür einzusetzen, dass nicht die stereotypischen Eigenschaften als gut und andere nicht dem entsprechenden Geschlecht zugeordneten Attribute als schlecht oder weniger Wert anerkennt werden.
Denn für mich dürfen Männer auch schön, begehrenswert, sanft und weich sein. Ich schätze sie, wenn sie fürsorgliche Väter sind, häuslich, sich um ihre Kinder sorgen, ihre Frauen unterstützen und dabei glücklich sind. Und sie dürfen sich von mir aus auch schön machen. Für ihre Frauen. Oder für andere. Und natürlich für sich selbst. You get it, right?
Sie schreiben, dass die Ausbeutung nicht lediglich eine Frage des Geschlechts, sondern vor allem des Geldes, des Ansehens und der Macht sei. Ich bin insofern ihrer Meinung, dass heutzutage hauptsächlich die reichen westlichen Industriestaaten die Drittweltländer und dessen Bewohner, Frauen wie auch Männer, ausbeuten. Dazu tragen wir Europäer, ob Mann oder Frau, mit unserem Konsumverhalten massgeblich bei. Bestimmt gibt es auch im alltäglichen Leben Frauen, die Männer mit Hilfe ihrer Macht oder ihres Geldes zu ihrem Vorteil benutzen. Darum geht es jedoch nicht und ist meiner Ansicht nach ein typisches Ablenkungsmanöver eines Mannes, der seit Lebzeiten von den noch immer aktuellen Machtstrukturen profitiert. In Anbetracht der Weltgeschichte wird schnell klar, dass es hauptsächlich weisse Männer waren, die für das systematische Ausbeuten von Menschen verantwortlich waren. Ich glaube nämlich kaum, dass während der Kolonialisierung Frauen am Steuer des Schiffes sassen oder sich mit wehendem Haar am Schiffsbug festhielten und schrien: vorwärts, wir hauen denen jetzt mal eins auf den Kopf und nehmen alle wertvollen Bodenschätze mit. Oder im Mittelalter auf dem Pferd durch die Ländereien ritten und den Bauern Angst einjagten. Nein, das männliche Prinzip nach Macht und Materiellem hat uns dazu gebracht. Und ja, ich finde, dass es noch nicht an der Zeit ist, dies zu vergessen und dass Demut seitens der verantwortlichen Männer noch immer angemessen ist.
Darum werde ich nicht müde für feministische Anliegen auf die Strasse zu gehen. Männer und Frauen sollten sich gemeinsam dafür stark machen, dass Care-Arbeit nicht mehr von Frauen gratis geleistet wird, dass auch Männer Familienarbeit übernehmen, dass auch grosse Konzerne Teilzeitarbeit unterstützen, dass auch andere Rollenbilder respektiert werden. Denn die “natürliche Mutterrolle“ gibt es meiner Meinung nach nicht. Vielmehr wird dies von der Gesellschaft so suggeriert und vermittelt allen Frauen, die einen anderen Weg einschlagen, sie seien nicht richtig, sie seien keine echten Frauen.
Und bitte, rufen Sie Eva nicht an. Sie rettet gerade die Welt und will nicht gestört werden.