Gaby Kratzer, 18.05.2018
Katharina trägt mit Stolz ihr neues T-Shirt mit der Aufschrift „UNIQUE“. Rote und blaue Pailletten zieren die Vorderseite ihrer neuen Errungenschaft. Dieses „Bling-Bling“ gefällt ihr. Es kann nicht genug glänzen und glitzern. Sie hat deshalb ein Sammelsurium an Modeschmuck. Das es kein echter ist, ist ihr egal. Es muss nur funkeln. Alle Teile prunken und leuchten noch mehr als Katharina selbst. Sie strahlt täglich nicht nur mit ihrem Lächeln, sondern auch mit ihrer ganz besonderen fröhlichen Art. Sie mag die Verschiedenartigkeit der einzelnen Steine. Unterschiedlich im Schliff, in der Farbe, in der Form. Sie hütet ihr Schmuckkästchen wie ihren Augapfel. Manchmal breitet sie alle Steine auf dem Esszimmertisch aus, nimmt jeden in die Hand, begutachtet ihn und legt ihn wieder liebevoll an seinen Platz. Katharina ist „UNIQUE“. Sie ist unvergleichlich. Sie ist einmalig, Sie ist eindeutig, Sie ist einzigartig. Katharina ist anders. Sie entspricht nicht der Norm. Keine „Zero-Size“ Modellmasse die frau nur hat, wenn sie nichts isst und das noch kotzt. Unsere Katharina ist mittlerweile eine junge Frau, die ganz gut weiss was sie will. Sie hat ihren eigenen Kopf und das ist auch gut so. Sie hat immer ein nettes Wort parat, wenn sie merkt, dass es mir nicht gut geht. Sie kennt selten schlechte Laune und hat jeden Tag Freude, wenn sie in ihrer geschützten Werkstatt bei der Erstellung der Holz-Puppenhäuser mithelfen darf. Katharina hat Trisomie 21. Sie wurde nicht während der Schwangerschaft aussortiert, nur weil sie nie einer Norm entsprechen wird. Wer entscheidet daüber, was normal oder abnormal ist?
Dasselbe gilt
leider auch sonst in unserer Gesellschaft. Normen, Vorschriften, Masse,
Gewichte die stimmen müssen, damit nur schon eine stinknormale Gurke oder Karotte
ins Ladengestell darf. Oh je, die ist zu dick die Gurke, die muss entsorgt
werden. Die Karotte hat eine etwas kuriose Form sie wird weggeworfen. UNECE-Norm FFV-10 für die Vermarktung und
Qualitätskontrolle von Möhren / Ausgabe 2010 / VEREINTE NATIONEN – New York und
Genf, 2010. Zusätzlicher Hinweis aus dem Normenpapier, damit auch alle
wissen was eine Möhre ist: In Österreich und der Schweiz auch Karotte. Acht
Seiten DIN A4 Text, wie ein Rüebli auszusehen hat. Kistenweise werden sie ausgemustert.
Wenigstens wird noch Tierfutter daraus gemacht und einige Bauern verkaufen alles
ausserhalb der Norm in ihrem Hofladen. Coop versuchte einige Zeit Gemüse, in
einer separaten Station im Gemüseregal, mit der Aufschrift Unique zu verkaufen. Wenn die krumme Gurke am Schluss mehr kostet
als die genormte, dann weiss man schnell, welches Regal voll bleibt.
Und das ist wirklich ein täglicher Unfug in Zeiten des Überflusses.
Liebe Gaby,
ich finde es sehr schön, wie Du fragst "Wer entscheidet was normal ist?" Katharina, die UNIQUE ist, UNIQUE sein darf, da hat sie noch Glück gehabt, - muss man leider sagen! Wir massen uns in der heutigen Zeit an, dass wir möglichst Alles bestimmen was sein darf und wenn es sein darf, wie es aus zu sehen hat, Grösse, Gewicht alles hat der Norm zu entsprechen.
So ein Humbug mit den normgeraden Rüebli und den krummen Gurken. Auf jeden Fall hat mich Dein Beitrag dazu angeregt, dass ich in Zukunft vermehrt in die UNIQUE-Kisten greifen werde.
Herzliche Grüsse
Verena
Sehr gut geschrieben und auf den Punkt gebracht. Dieser Texz sollt noch viel mehr Leute erreichen. Rückbesinnung zum Wesentlichen ist angesagt!
Herzlich Gaby
Liebe Gaby
Mir geht grad die Sonne im Herz auf, wenn ich lese, wie du deine Tochter Katharina beschreibst. Danke, dass du uns diese wunderschöne Blume im Garten der Schöpfung vorgestellt hast. Das Wort "normal" ist für mich schon lange keine Bezeichnung mehr für etwas das gut ist, sondern für das, was die meisten Menschen tun oder für gut befinden, weil es ihnen unzählige Male vorgesagt und eingetrichtert wurde. Normal bezeichnet einfach einen winzig kleinen, engen Ausschnitt aus allen Möglichkeiten, die es gibt. Und wir erlauben es (mehr oder weniger), uns dermassen beschränken zu lassen und zu glauben, dass der uns aufgezwungene Ausschnitt, der einzig richtige sei. Leider.
Ich freue mich immer wieder von solchen wie dir zu hören, die es eben nicht tun.
Herzlich, Benita